Italien. 697
chen die Geschichte kennt, entwaffnet hatte. Die über seinen Rang so-
weit hinausgehende Stellung im Jahr 1856 hatte sich Sardinien auf
elne ganz eigenthümliche Weise erworben; es betheiligte sich an dem Kriege
gegen Rußland, obwohl es gewiß keinen Beruf hatte, mit Rußland
wegen der orientalischen Frage anzubinden; es hatte auch das zu seiner
Krimfahrt nothwendige Geld nicht, sondern mußte es sich von England
leihen oder vielmehr schenken lassen; es gehorchte lediglich dem Trei-
ben Frankreichs und Englands und trug auch das Bewußtsein seiner
Knappenschaft so lebendig in sich, daß es sich nicht getraute nach altem
ehrlichen Brauche dem Gegner den Frieden aufzukünden, wofür es von
Kaiser Nikolaus I. in einem Manifeste würdig aber schonungslos zur
Rede gestellt wurde. Daß Kavour in den Konferenzen ebenso wenig
eine selbstständige Ansicht vertrat, als dem Sultan an der sardinischen
Garantie der Friedenspunkte lag, versteht sich von selbst; seine Rolle
war ihm vorgezeichnet und ebenso konnte er nur mit Einwilligung der
beiren Westmächte den Versuch wagen die itallenische Frage als eine neue
Aufgabe auf den Tisch der Konferenz zu werfen, indem er den Zustand
Italiens als einen solchen darstellte, der zu einem gewaltsamen Ausbruch
führen müsse und deßwegen den Frieden Europas bedrohe. Dieser sar-
dische Ausfall galt Oesterreich und besonders dem hl. Vater, hatte aber
in der Konferenz selbst keine unmittelbaren Folgen, weil Graf Buol=
Schauenstein jede Erörterung ablehnte. Dagegen setzte Sardinien seit-
dem sein gewagtes Treiben in Italien selbst beharrlich fort; durch seine
Eingriffe in die geistliche Gerichtsbarkelt, durch die Einführung der Civil-
ehe, durch die Aufhebung einer beträchtlichen Anzahl Klöster, durch die
Begünstigung der englischen religlös = politischen Propaganda und die in
Kavours Memorandum gegen das päpstliche Regierungssystem gerichteten,
ebenso übermüthigen als perfiden und ungerechtfertigten Angriffe (die
durch eine Denkschrift des französischen Gesandten Rayneval in Rom
am schlagendsten widerlegt sind) nahm es schon damals eine nur nicht
geradezu erklärte feindliche Stellung gegen den hl. Vater ein, brach zu-
gleich aber mit dem bisher in Italien herrschenden Volksgeist. Gegen
Oesterreich sprach es muthwillige Provokationen aus (z. B. Sardinien
und Oesterreich können nie Freunde sein, so lange noch ein Oesterreicher
auf italienischem Boden steht; die Subskription für 100 schwere Kano-
nen, die von den Wällen Alessandrias gegen die Barbaren zu donnern
bestimmt sind 2c.), weil es wußte, daß Oesterreich durch die Rücksicht,
welche es auf die politische Konstellation Europas zu nehmen hatte, einst-
weilen abgehalten wurde, die Lektionen von Kustozza und Novara zu
wiederholen. Frellich war auch die Lage Sardiniens die eines verzwei-
felten Spielers; seine Staatsschuld belief sich nach offizieller Angabe am
1. Januar 1855 auf nicht weniger als 615,993,429 ½ Lire oder Fran-