Die Neuenburger Frage. 701
und aus demselben Grunde erwiederten sie die Kriegsdrohung Preußens
mit einer Herausforderung; sie erinnerten unwillkürlich an den Bock der
Fabel, der von sicherem Dache herab den unten stehenden Wolf verhöhnt.
Napoleon III. war schon durch Frankreichs geographische Stellung Herr
der Lage, was Preußen alsbald anerkannte, indem es sich die guten
Dienste des französischen Kaitsers zusichern ließ, und die Schweizer fügten
sich gleichfjalls, als ihnen Napoleon III. drohend untersagte, mit der
Aufregung der revolutionären Elemente einen Versuch zu machen oder
auch nur länger von einem solchen Vorhaben in Rathsälen und Zeitun-
gen zu sprechen. Er verlangte die unbedingte Freilassung der gefange-
nen Neuenburger Royalisten und die Schweizer willigten insoweit ein,
daß sie dieselben aus den Gefängnissen über die französische Gränze brach-
ten, weil Napoleon III. ihnen wiederholt die bündigsten Versicherungen
gab, er werde alles aufwenden, um eine für die Schweiz günstige Ver-
einbarung herbeizuführen. Der König von Preußen war auf der Frei-
lassung der Royalisten bestanden, er hatte sie als die unumgänglliche Vor-
bedingung jeder Unterhandlung aufgestellt; er erhielt diese Satiefaktion,
die Kriegsrüstungen und Kriegsdrohungen wurden darauf belderfeits ein-
gestellt, die Gesandten der Großmächte und der außerordentliche Gesandte
der Schweiz (Dr. Kern, ein sehr unterrichteter und gewandter radikaler
Staatsmann mit aristokratischen Geldmitteln und Manieren, als Napo-
leon III. noch im Thurgau auf Arenenberg wohnte sein Nachbar und
1838 auf der Tagsatzung der Verfechter seines schweizerischen Bürger-
rechts) brachten im Mai das Arrangement zu Stande, das im Juni
von Preußen und der schweizerischen Bundesversammlung ratificiert wurde.
Der König von Preußen entsagte dem Besitze des Fürstenthums Neuen-
burg (und der Grasschaft Valengin oder Valendis) und wies die ihm
zugesprochene Entschädigung von 1 Million Franken ab; dagegen amne-
stierte die Schweiz oder zunächst die republikanische Regierung Neuen-
burgs alle flüchtigen oder sonst kompromittierten Royalisten und machte
sich anheischig, die milden und religlösen Stiftungen ihrem Zwecke nicht
zu entziehen.
Die Schweizer hatten alle Ursache, mit diesen Ergebnissen zufrieden
zu sein, und man kann ihnen bei dieser Gelegenheit das Zeugniß nicht
verweigern, daß sie politischen Takt bewiesen; sie ließen alle Bedenklich=
keiten und Parteirücksichten fallen, sprachen und handelten nur im vater-
ländischen Interesse, das in der That von ihrer Seite die Festhaltung
Neuenburgs verlangte. Die öffentliche Meinung Deutschlands dagegen zeigte
sich theilweise wieder so unverständig als jemals, da und dort nahm man
aus demokratischer Verbissenheit oder aus sonstiger Antipathle gegen Preußen
Partei und gönnte es ihm, daß es mit der Schweiz nicht ernsthaft
anbinden konnte, sondern Napoleon III. seine Vermittlerrolle mit stolzem