146 Die Organisation des Staates. Die Selbstverwaltungskörper. 8 61
d) Belastung der Kreise durch Kreis- und Provinzialabgaben in Höhe von über 25 Prozent
des Gesamtbetrags der direkten Staatssteuern;
e) Neubelastung des Kreises oder der Gemeinden des Kreises ohne gesetzliche Ver-
pflichtung, insofern die aufzulegenden Leistungen über die nächsten fünf Jahre hinaus fort-
dauern sollen.
2. Kreistags- oder Provinzialtagsbeschlüsse, welche die Befugnisse dieser Selbstverwaltungs-
organe überschreiten oder Gesetze verletzen, hat der Kreisrat bzw. der Provinzialdirektor zu
beanstanden und zwecks Entscheidung über die Ausführung der Aufsichtsbehörde einzureichen 1).
3. Auf Antrag des Ministeriums des Innern kann ein Kreis= oder Provinzialtag durch
landesherrliche Verordnung aufgelöst werden. Binnen sechs Monaten vom Tage dieser Ver-
ordnung an müssen Neuwahlen stattfinden. Die von den aufgelösten Selbstverwaltungsorganen.
gewählten Mitglieder des Kreis= bzw. Provinzialausschusses sowie der Kreis- und Provinzial-
kommissionen bleiben so lange in Funktion, bis das neugewählte Organ die erforderlichen
Neuwahlen vollzogen hat. Die Auflösung eines Kreistags hat auf die Amtsdauer der von
ihm gewählten Provinzialtagsmitglieder an sich keine Wirkung 2).
4. Wenn der Kreis= oder Provinzialtag es unterläßt oder verweigert, die der Provinz
oder dem Kreise gesetzlich obliegenden Leistungen in den Voranschlag aufzunehmen oder außer-
ordentlich zu genehmigen, so läßt das Ministerium des Innern unter Anführung der Gründe
die Eintragung in den Voranschlag von Amts wegen bewirken oder stellt diese Ausgaben außer-
ordentlich fest (Zwangsetatisierung) 3).
C.
§ 61. Die Stiftungen. I. Der hessische Staat entbehrt bisher einer einheitlichen gesetz-
lichen Regelung des Stiftungswesens, wie sie beispielsweise Baden") schon seit dem Jahre
1870 besitzt. Die hessische Gesetzgebung beschränkt sich auf den Erlaß einiger, in einer Reihe
verschiedener Gesetze zerstreuter Einzelbestimmungen, die sich hauptsächlich auf die Genehmigung,
den Schutz, die Verwaltung und die Beaufsichtigung der Stiftungen beziehen. Dabei ist der
Sprachgebrauch bezüglich des Wortes „Stiftungen“ kein einheitlicher; vielfach werden hierunter
auch Vermögensmassen verstanden, die nicht als selbständige eigene Rechtssubjekte erscheinen
und demgemäß nur als „uneigentliche“ oder „unselbständige“ Stiftungen 5) bezeichnet werden
können. Auch dem Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Stiftungen)
wird vom Gesetzgeber nicht in entsprechender Weise Rechnung getragen. Letztere Tatsache
mag sich daraus erklären, daß der Staat nicht nur an denjenigen Stiftungen interessiert ist,
die von ihm selbst errichtet wurden oder doch ihm gegenüber zur Erfüllung ihres Stiftungs-
zweckes verpflichtet sind, sondern auch an denjenigen, die rein privaten Charakter haben, deren
Organe aber vom Staate, als dem Hüter der Rechtsordnung, hinsichtlich der Erfüllung ihrer
der Stiftung gegenüber bestehenden Pflichten kontrolliert werden müssen.
II. Im einzelnen sind hier folgende Bestimmungen von Interesse:
1. Zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung ist außer dem Stiftungsgeschäfte 7),
ohne Rücksicht auf die Höhe des Stiftungsvermögens und auf den Stiftungszweck, landesherr-
liche Genehmigung erforderlich 3). Die Erteilung der Genehmigung wird im Regierungsblatt
bekannt gegeben und tritt hiermit in Wirksamkeit. Die Stiftungsgeschäfte unter Lebenden
unterliegen grundsätzlich dem regelmäßigen Stempelsatze für Schenkungen; eine gesonderte
1) KO. Art. 96.
2) KO. Art. 97.
3) KO. Art. 98.
4) Vgl. Walz, Bad. Staatsrecht, Off. R. d. G. B. V (1909), S. 200 ff.
* * hierüber Biermann Johannes, Bürgerliches Recht, B. I (Berlin 1908)
6) Vgl. hierüber Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft, S. 18—24, S. 48;
Wolf — Gauf — Fuchs, hess. Landesprivatrecht, S. 30 ff. und bes. S. 38 ff.
7) Vgl. hierüber Biermann S. 513.
8) Siehe BB. § 80; AG. z. BGB. Art. 7; vgl. auch VO. v. 3. VI. 1812, 22. X. 1817
(Archiv d. Großh. Hess. Gesetze usw., B. II S. 438) u. VO. v. 31. I. 1820 (RBl. S. 19).