§1117 Das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften. 299
akte durch die an Stelle des einstigen Art. 40 HV. getretenen vorerwähnten Bestimmungen
des Art. 5 des G. über die rechtl. Stellg. usw. (s. oben Ziff. 1 lit. e).
Für die Gesetzgebung in den kirchlichen Angelegenheiten der evangelischen
Kirche gilt die auf dem landesherrlichen Summepiskopat beruhende Besonderheit, daß das
Gesetzgebungsrecht der Landessynode in Gemeinschaft mit dem Landesherrn zusteht,
so daß kein kirchliches Gesetz ohne Zustimmung dieser beiden Faktoren erlassen, aufgehoben,
geändert oder authentisch interpretiert werden kann. Das Bekenntnis bildet keinen Gegen-
stand der Gesetzgebung der Landeskirche 1).
b) Übertragung, Übernahme und Ausübung von Kirchen-
ämtern in den beiden christlichen Kirchen 2). Die Ubertragungbzw. Ubernahme
eines Kirchenamts setzt voraus: Besitz der deutschen Reichsangehörigkeit und einer
den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden wissenschaftlichen Vorbildung; Anzeige der
beabsichtigten Amtsübertragung und Unterbleiben eines ministeriellen Einspruchs; Ableistung
des Verfassungseides vor der Amtsübernahme (Art. 1, 2, 9). Als wissenschaftliche Vorbildung
wird gefordert: Reifezeugnis eines deutschen Gymnasiums und — vorbehaltlich ministeriellen
Dispenses — Zurücklegung eines dreijährigen theologischen Studiums an einer deutschen
Staatsuniversität oder an einem ministeriell zugelassenen und für geeignet erklärten kirch-
lichen Seminar. Daneben sind die Kirchen bzw. die kirchlichen Oberen befugt, unter staat-
licher Aufsicht Alumnate oder Pensionate (Konvikte) zur Aufnahme von Gymnasial= oder
kirchlichen Seminarzöglingen, sowie Anstalten zur theologisch-praktischen Vorbildung der
Geistlichen einzurichten (Art. 4—8).3).
Soweit die Mitwirkung des Staats bei Besetzung kirchlicher Amter auf Grund des Patro-
nats oder besonderer Rechtstitel anderweitig geregelt ist, behält es dabei sein Bewenden.
Ebenso werden die bestehenden Rechte des Staats bezüglich der Anstellung von Geistlichen
beim Militär und an öffentlichen Anstalten durch die vorstehenden Bestimmungen nicht be-
rührt (Art. 11). Eine unter Verletzung der vorgenannten Vorschriften erfolgte Amtsübertragung
ist nichtig und hat Interkalarverwaltung der betreffenden Pfründe zur Folge. Der im
Widerspruch mit diesen Bestimmungen amtierende Geistliche unterliegt einer Geldstrafe bis
zu 300 Mk., der verantwortliche kirchliche Obere einer Geldstrafe von 300 bis 1500 Mk. (Art. 12).
Die Verurteilung eines Geistlichen zur Zuchthausstrafe, die Aberkennung der bürgerlichen
Ehrenrechte und der Amterfähigkeit hat die Unfähigkeit zur Ausübung des kirchlichen Amtes
und den Verlust des Amtseinkommens zur Folge 4). Amtsausübung unter Zuwiderhandlung
gegen diese Vorschriften hat, sofern es sich nicht nur um vorübergehende Ausübung einzelner
kirchlicher Handlungen handelt, Geldstrafe bis zu 300 Mk. zur Folge (Art. 13, 14).
Kein Geistlicher darf öffentliche Vorträge in einer Kirche oder in einem anderen zu
religiösen Versammlungen bestimmten Orte dazu anwenden, um aus Anlaß öffentlicher,
nicht rein kirchlicher Wahlen auf die Wahlberechtigten in einer bestimmten Parteirichtung
einzuwirken 5). Zuwiderhandlungen unterliegen der Strafandrohung wegen Amtsmiß-
brauchs (s. u. c) 5). Das gleiche gilt für denjenigen Geistlichen, Diener, Beamten oder
Beauftragten einer Kirche oder Religionsgemeinschaft, welche den zur Abstellung eines recursus
1) Siehe Edikt v. 6. I. 1874, die Verf. d. evang. K. usw. betr., 107 Ziff. 1. — Be-
züglich der Vorzeschichte des Edikts s. Schmidt S. 78; bezüglich seiner rechtl. Natur als Kirchen-
verordnung vgl. Stutz S. 956. — Zur Publikation der kirchlichen Gesetze usw. dient das
B. Bl. f. d. evang. Kirche d. Gr. H. Vgl. auch das Handbuch f. d. evang. Kirche
d. Gr. H., i. A. d. Oberkonsist. hrsg. v. Sonne, 5. A. 1905 u. die vorhergehenden Auflagen.
2) Siehe Gesetz, die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen betreffend, vom 23. April 1875
i. d. F. v. 5. VII. 1887: Schmidt S. 207; Reidel S. 217. — Für die Geistlichen anderer
Bekenntnisse gilt in der Hauptsache noch die Allerh. V O. vom 23. II. 1850, die Staatsaufsicht
über neue Religionsgemeinschaften und über Versammlungen zu kirchl. Zwecken betr., RBl. S. 99.
3) Bezüglich der Vorschriften für evangelische Theologen s. besonders Eger u. Friedrich,
Kirchenrecht der evangelischen Kirche i. Gr. H., Darmstadt 1911, B. II (verf. v. Eger) S. 15 ff.
4) Die Zulässigkeit dieser Straffolgen läßt sich ausschließlich aus dem Aufsichtsrecht des
Staates über die Kirche und deren Organe ableiten.
5) Gesetz, den Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt betreffend, vom 23. IV. 1875/7. IX.
1889; Schmidt S. 131; Reidel S. 190; Art. 11 u. 12.