Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

20 Die natürlichen Grundlagen des Staatswesens. Die Bevöllerung des Staates. 8 12 
  
4. Die Häupter und die nachgeborenen Mitglieder der standesherrlichen Häuser sind 
vom Zwang des Jagdwaffenpasses befreit (a. a. O. Art. 35; V. v. 30. Juni 1894 i. d. F. v. 
19. Juni 1907, § 2, RBl. 1894 S. 255; 1907 S. 307). 
5. Mit der Ausübung der Lokalpolizei und des Feldschutzes auf den standesherrlichen 
Besitzungen kann der Staat Untergebene der Standesherrn betrauen (a. a. O. Art. 33). 
6. Die Beitreibung liquider Gefälle der Standesherrn kann vorbehaltlich des Wider- 
spruchsrechts des in Anspruch genommenen durch die standesherrlichen Renteibehörden 
geschehen (a. a. O. Art. 33). 
7. Die standesherrlichen Familien haben gewisse Vorzugsrechte in bezug auf die Be- 
wirtschaftung und Benutzung ihrer Besitzungen usw. (Vgl. insbesondere in bezug auf Forst- 
und Bergbaubetrieb Art. 23 u. 32 a. a. O., sowie Art. 227 des Berggesetzes vom 28. Januar 
1876/1. Januar 1900). 
8. Die Standesherrn haben das Recht der Hausgesetzgebung bezüglich ihrer Güter- 
verhältnisse und Familien (s. Art. 10 a. a. O., vgl. EGG. 2 z. BG. Art. 58 u. 59) 1). 
Im übrigen bleiben in Ansehung der bezeichneten Verhältnisse für die standesherrlichen 
Familien die Vorschriften der Landesgesetze — also besonders diejenigen des Gesetzes von 
1858 — bestehen (CEG. z. BGB. Art. 58; vgl. auch AG. z. BGB.). 
9. Hinsichtlich des Gerichtsstandes sind die Standesherrn in folgender Weise privilegiert: 
a) In „peinlichen Fällen“", d. h. wenn es sich um die Verfolgung wegen Verbrechens 
oder Vergehens handelt, genießen die Häupter der standesherrlichen Familien das Recht, 
durch ein vom Großherzog angeordnetes, aus dem Präsidenten des Oberlandesgerichts, sechs 
Richtern gleichen Standes mit dem Angeschuldigten und zwei Räten des Oberlandesgerichts 
als Referenten gebildetes Austrägalgericht gerichtet zu werden (vgl. Art. 12 àa a. a. O., 97 
EG. z. GV., Art. 9 Abs. 1 AG. z. GV)2). 
b) In Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit — abgesehen von Immobiliarsachen — 
stehen die Häupter sowie die übrigen Mitglieder der standesherrlichen Familien unter dem 
Oberlandesgericht (Art. 12c a. a. O., AG. z. GV. Art. 9 Abs. 2). 
10. Die Häupter der standesherrlichen Familien haben innerhalb ihrer Standesherr- 
schaften nach Maßgabe des Besitzstandes von 1848 das Patronat in Ansehung der Pfarr-- und 
Schulstellen, ferner nach dem Besitzstande von 1858 das Recht der Präsentation zu niederen 
Kirchendiensten; durch die Fundation einer neuen Pfarr= oder Schulstelle erwerben die 
Standesherrn zugleich das Patronat= bzw. das Präsentationsrecht (Gesetz von 1858 Art. 25 
bis 30) 8). 
11. Endlich haben die Standesherrn noch eine Reihe von Vorrechten, die in der Haupt- 
sache den Charakter von Ehrenrechten tragen: 
  
1) Hinsichtlich des derzeitigen Standes der Hausgesetzgebung s. die Angaben bei Glock 
und Lehr, Das in Hessen geltende Reichs- und Landesrecht, Karlsruhe u. Darmstadt 1905 
S. 24. Vgl. ferner Heß, Der Einfluß des BGB. auf die Autonomie der deutschen Standesherrn 
in theoretischer und praktischer Beziehung; Gieß. Diss., Darmstadt 1909; besonders S. 121. — 
Bezüglich der übrigen einschlägigen Fragen s. namentlich Edgar Loening, Die Autonomie 
der standesherrlichen Häuser nach dem Rechte der Gegenwart, Denkschrift, Halle 1905; P. Oert- 
mann, Die standesherrl. Autonomie im heutigen deutschen bürgerlichen Recht, Denkschrift, 
Erlangen 1905. — Das Recht der Siegelmäßigkeit, welches zuweilen mit der Auto- 
nomie in Verbindung gebracht wird, steht den Angehörigen des hohen Adels heute zweifellos 
nicht mehr zu; es wurde vielmehr durch die Reichsgesetzgebung überall beseitigt. Vgl. Hess. 
Rechtsprechung,, 12. Jahrg. S. 147f. 
2) Nach Art. 9 Abs. 1 AG. z. GVG. sollen auch die ebenbürtigen Familienglieder der Standes- 
herrn an diesem privilegierten Gerichtsstand teilhaben. Diese Bestimmung widerspricht aber 
der ausdrücklichen Vorschrift des § 7 EG. z. GVG., wonach die Austrägalgerichtsbarkeit nur 
den Häuptern der standesherrlichen Familien zukommt, und ist demnach gem. R V. Art. 2 un- 
gültig. Vgl. die eingehenden, überzeugenden Ausführungen Heyers (S. 105 f.), der sich u. a. 
auch auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Darmstadt stützt. Gl. Ansicht Cosack (S. 16). 
3) Vglgl. Heyer 3, 108 ff.; Han fult, Das Patronat i. d. ev. Landeskirche d. Großh. H., 
Gießener, Diss., Friedberg 1998 S. 42 ff.
	        
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