VIII. Von den Landständen. 83
entwürfe, jede Rechtsvorschrift, welche auf die
Freiheit des Eigentums oder der Personen Be-
zug hatte — oder kurz gesagt, überhaupt jede an
die Untertanen sich richtende Rechtsvorschrift; denn eine
Rechtsvorschrift, durch welche nicht in irgend einer Weise,
direkt oder indirekt, in die Freiheit des Eigentums oder
der Person der Untertanen eingegriffen würde, ist be-
grifflich nicht möglich.7
Der im Art. 72 aufgestellte Grundsatz, daß jeder
Rechtssatz zu seiner Entstehung der verfassungs-
mäßig geregelten Mitwirkung der Stände oder mit
anderen Worten „der Form des Gesetzes“ bedarf, hat
indessen, wie bereits erwähnt wurde, eine sehr wichtige
Ausnahme erfahren. Diese besteht darin, daß durch den
Art. 72, ähnlich wie dies in den Verfassungsurkunden
anderer Staaten geschehen ist, für eine bestimmte Anzahl
von Fällen der Landesherr für befugt erklärt wird,
ohne ständische Mitwirkung gewisse Anordnungen zu
treffen, welche, wenn auch nicht durchweg, so doch
wenigstens zum Teile, inhaltlich in das Gebiet der Recht-
setzung gehören. Es sind drei verschiedene Gruppen
von Angelegenheiten, bezüglich deren der Großherzog
ein selbständiges, von jeder ständischen Zustimmung un-
abhängiges „Verordnungs“recht besitzt: 1. der Kreis der
„zur Vollstreckung und Handhabung der Gesetze er-
forderlichen . Verordnungen und Anstalten“; 2. der Kreis
1 Eine bemerkenswerte Bestätigung der Richtigkeit dieser An-
nahme enthält der Art. 20 des Verfassungsedikts vom 18. März
1820, wo in Abs. IV eine besondere Behandlung solcher Gesetze
vorgesehen ist, welche „sich nicht direkt“ auf das Eigenthum und
die Freiheit der Personen beziehen, (wie die Gesetze über den
Civilprozeß)"“. Vgl. hierher auch das unten abgedruckte Gesetz
vom 30. Dezember 1904, Abs. 2 des einz. Artikels.
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