86 II. Teil. Die Grundlagen des hess. Verfassungsrechts.
III. Die individuellen Rechte der Ständemitglieder.
Die Wichtigkeit der öffentlich-rechtlichen Stellung der
Kammern findet ihre Anerkennung nicht nur in den ge-
schilderten korporativen Rechten der Volksvertretung,
sondern auch in den den Ständemitgliedern als Ein-
zelnen zustehenden Rechten. ·
1. Das erste und wichtigste berufliche Recht — und
zugleich die vornehmste, Pflicht — der Kammermitglieder
ist die Freiheit der Uberzeugung. Jedes neu ein-
tretende Ständemitglied gelobt eidlich „Treue dem Groß-
herzog, Gehorsam dem Gesetze, genaue Befolgung der
Verfassung, und in der Ständeversammlung nur das all-
gemeine Wohl, nach bester, eigner, durch keinen Auftrag
bestimmter Uberzeugung, berathen zu wollen.“ Aus den
Pflichten, welche das Ständemitglied durch diesen Eid
übernimmt, ergibt sich als bedeutsamstes Recht vor allem
die Unabhängigkeit von irgendwelchen Aufträgen, welche
etwa Wähler, dienstliche Vorgesetzte, sonstige physische
Personen, Parteien, Korporationen oder sonstige Per-
sonengruppen demjenigen erteilen sollten, der als Volks-
vertreter berufen ist, nur das allgemeine Wohl im
Auge zu halten. (Art. 88.)
2. Eine weitere Gewähr für die unbehinderte Aus-
übung ihres Berufes finden die Ständemitglieder in
der rechtlichen Unverantwortlichkeit, welche ihnen für
ihre Abstimmung und für die in Ausübung ihres Be-
rufes getanen Außerungen gesetzlich zugesichert ist.7
1 Vxgl. HV. Art. 83, und RStG#B. §. 11; durch letztere Vor-
schrift ist Art. 83 insoweit ersetzt, als es sich um die strafrecht-
liche Verfolgung eines Kammermitgliedes handelt. (Vgl. Bad.
Verf. § 48 a, und hierzu Glockner bad. Verf.-R. S. 117.) § 11
G. a. O. lautet: „Kein Mitglied eines Landtags oder einer Kammer
eines zum Reiche gehörigen Staats darf außerhalb der Versamm-