72 II. Teil. Die Grundlagen des hess. Verfassungsrechts.
Standesgenossen. Auf Grund ihrer amtlichen Stellung
gehören der J. Kammer an: die beiden berufenen Ver—
treter der katholischen und der evangelischen Kirche und
der Vertreter der Landesuniversität. Endlich verdankt
eine beschränkte Zahl von Kammermitgliedern (in maxi-
mo 12) ihr Mandat unmittelbar der auf Lebenszeit er-
folgenden Ernennung durch den Großherzog.
Während die Zusammensetzung der I. Kammer deut-
lich durch ständische Erinnerungen beeinflußt ist, bringt
die II. Kammer die Neuartigkeit der modernen Volks-
vertretung auch schon in der Art und Weise ihrer Zu-
sammensetzung zum Ausdruck. Die Kammermitgliedschaft
wird hier nicht durch Zugehörigkeit zu einem bestimmten
Stande oder Berufe, sondern ausschließlich durch die
Stimme des Volkes bestimmt. Die Zahl der Volks-
vertreter beträgt 50, welche in bestimmt festgesetzten
Wahldistrikten — und zwar je 2 in der Haupt= und
Residenzstadt Darmstadt und in der Provinzialhaupt-
stadt Mainz, je 1 in der Provinzialhauptstadt Gießen
und in den Kreisstädten Offenbach, Friedberg, Alsfeld,
Worms und Bingen, der Rest aber in den nicht mit
einem besonderen Wahlrecht begabten Städten und in
den Landgemeinden — gewählt werden. Das aktive
Wahlrecht steht, vorbehaltlich bestimmter gesetzlicher
Ausnahmen, jedem hessischen Staatsbürger zu, welcher
1 Bezüglich der im Flusse befindlichen Neuregelung des Wahl-
rechts (insbesondere Einführung der direkten Wahl) vgl. den den
Landständen vorgelegten Regierungsentwurf von 1901/1905 und
die einschlägigen Kammerverhandlungen (s. unten die Anm. zu
Tit. VIII
2 Vgl. WG. Art. 8 u. Reichsmilitärgesetz v. 2. Mai 1874 § 49
(s. unten Gesetz v. 8. November 1872).
3 Uber diesen Rechtsbegriff vgl. oben S. 44.