320 II, 2. Bismarcks Wirtschaftspolitil im Reichstag 1879. Politische Folgen.
überaus gewagle Geschäfte geworden seien“. Das absprechende Urteil der Thronrede über
die deutsche Wirtschaftspolilik seit 1865 mißbilligt er in scharfen Worten und erktärt Bismarck
für diese Politik verantwortlich. Am Schlusse ruft er: „Der Wahn des Kanzlers verfolg! den ver-
änderten Kurs mitl solch rasender Hestigkeit, daß die Mitsahrenden immer ängstlicher werden, er
tönnte an irgend einem Prellstein zu Sturz kommen.“
Fürst Bismarck erwiderte (am 21. Februar) mit großer Ruhe auf diesen heftigen
Angriff:
„Ich rechne auf die Zuslimmung des Hauses, wenn ich von der Tonart, in der dieser Ab-
geordnete die Gewohnheit hat, von mir zu sprechen, gänzlich absehe." Milder habe sich die
Thronrede über die Wirtschaftspolitil von 1865 an gar nicht ausdrücken können, als: „daß der-
selben praklische Erfolge nicht zu Seile stehen“. Für die frühere Wirtschaftspolitik erklärt er sich
insoweit verantwortlich, als er dieselbe „sormell ganz und voll vertreten“ habe. Den franzöfi-
schen Handelsvertrag aber habe er schon abgeschlossen vorgesunden, als er Minister wurde. Dann
habe er von 1862 an bis zum Rücktrit! Delbrücks 1876 sich lediglich mit Leitung der politischen
Geschäfte Preußens und Deulschlands beschäftigt. „Die mächtige Hilfe, welche die Mitwirkung
einer Kraft wie die des Herrn Delbrück der ersten Einrichtung des Reichs gewährt hai, war durch
nichts anderes zu ersetzen. . Daß meine Meinung, wenn ich schließlich ganz auf mich selbst ge-
stellt bin, eine andere ist, wie die, der ich bis dahin gesolgt war, ja, das schäme ich mich in keiner
Weise zu bekennen.“ Der Fürst beklagt sich dann über die persönliche Unfreundlichkeit und Feind-
seligkeit, welche seine ersten selbständigen Schrilte auf dieser neuen Bahn, seit der Andeulung
des Tabalsmonopols bis zum gegenwärtigen Tag, in der fortschrittlichen, namenllich aber auch
in der nalionalliberalen Presse gesunden habe, und bei diesen Ausführungen wird seine Simme
bewegter. Dabei wirft er auch solchen nationalliberalen Zeitungen, „von deren achlbarer Haltung
ich eine objeklivere Auffassung erwartet hätte“, der „Kölnischen Zeilung“ und der „Nalionalzei-
tung“, vor: „Es vergehl fast kein Tag in der Sozialistenfrage, in der jetzigen Frage, wo ich
nicht aus diesen Zeitungen stets von neuem den Eindruck bekomme, daß hinier den Kulissen ein
Bedürfnis ist, Feindschaft und Unruhe zu säen ... Ich sage das ausdrücklich, weil ich damit
den Wunsch verbinde, daß die Herren doch auch ihrerscits einen versöhnlicheren Ton anschlagen
und nicht dem Bedürsnis, jeden Tag einen sensalionellen Zeilungsartikel zu liefern, den Frieden
der Parteien opfern möchten. . Man darf glauben, daß die hervorragendsten Leute der bedeu-
tendslen und zahlreichsten Fraktion ihre Meinung in diesem Blalle ausdrücken. Wenn das nicht
der Fall ist . so wärc es wünschenswert, daß die Fraktionen im Interesse des ollgemeinen Frie-
dens die Filtionen zerstörten, als ob ein Organ dieser Art jeden Tag in der Verbreitung von
düsterer Uuruhe und Befürchtung die Meinung einer großen ochibaren Partei ausdrückt.“
schloß Bismarck dann eine zweite kurze Nede mit den Worten:
„Jeder Kampf kündigt sich an durch Artillerie. Um die Lente zu benachrichtigen, ist es auch
vielleicht sehr nötig. Nehmen Sie die Art, wie ich prozediert habe, als Signalschüise, aber nicht
als einen Kampf. Der Kampf wird uns Jahre hindurch beschäfltigen, aber, wie ich hossfe, zum
Heile, zum Glllck, zum Gedeihen unseres Vakerlandes führen.“
Der Vertrag wurde mit großer Mehrheit angenommen, und die Milde und Ver-
söhnlichleit, mit welcher Bismarck sich über die nationalliberale Partei ausgesprochen,
die Anerkennung, welche er der Mitarbeit Delbrücks gezollt halte, gaben gule Hoff-
nung für ein friedlich-gedeihliches Zusammenwirken der Partei mit ihm bei Lösung der
Hauplsrage. Da trübte mit einem Male das erplosive Ungestüm Laskers von neuem