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gelangt, war im bisherigen Recht bestritten. Doch neigte Theorie und Praxis
immer mehr dazu, die Frage im erstern Sinn zu entscheiden. 1
Bestimmungen darüber, in welchen Fällen sich ein Antragsteller bei Vertragsverhand-
lungen unter Abwesenden eine „stille“ Annahme seines Antrags gefallen lassen muß, waren
im bisherigen Recht nicht aufgestellt.!“ Eine gesetzliche Frist, binnen deren der Antrag bei
Vertragsverhandlungen unter Abwesenden angenommen werden mußte, widrigenfalls er von
selbst erlosch, war nur im preußischen Recht und im Handelsrecht bestimmt.13
6. a) Das mittelalterliche Recht huldigte einem strengen Formalismus
und erklärte demgemäß grundsätzlich ein Rechtsgeschäft nur für gültig, wenn
es unter Einhaltung bestimmter Formen abgeschlossen oder wenigstens von einer
Partei tatsächlich erfüllt war. Gebräuchliche Formen waren: die feierliche Be-
urkundung, die Erklärung vor rechtsförmlich zugezogenen Zeugen, die Hingabe
eines Gottespfennigs oder einer Draufgabe u. dgl.1"
b) Seit der Rezeption des römischen Rechts hielt man an dem mittel-
alterlichen Formalismus nur noch vereinzelt fest; aber auch die römischen For-
malitäten wurden nur zum kleinen Teil eingeführt. Das Ergebnis war, daß
man sich sowohl im Gegensatz zu dem älteren deutschen wie im Gegensatz zum
römischen Recht zu dem Grundsatz bekannte, die Vornahme der Rechtsgeschäfte
könne vorbehaltlich der durch Gesetz oder Gewohnheit bestimmten Ausnahmen
(Schenkung, Testament, Eheschließung usw.) formlos vor sich gehn.15 Nur das
preußische Landrecht nahm eine abweichende Stellung ein, indem es bestimmte:
I. Rechtsgeschäfte über Gegenstände im Wert von mehr als 50 Talern be-
dürfen der Schriftlichkeit; II. ist ein Vertrag schriftlich beurkundet, so sind
etwaige mündliche Nebenabreden selbst dann ungültig, wenn der Gegenstand
des Vertrages weniger als 50 Taler wert ist.1
7. Über die Behandlung der Wuchergeschäfte im bisherigen Recht f.
unten § 120.
8. Die Bedingungen und Befristungen wurden im bisherigen Recht, von
Einzelheiten abgesehn, ebenso geregelt wie im bürgerlichen Gesetzbuch.
9. Die Auslegung der Rechtsgeschäfte war im mittelalterlichen Recht eine
formalistische: während das formlos geäußerte Wort ganz unverbindlich war,
mußte das formgerecht geäußerte Wort sich eine buchstäbliche Auslegung ge-
fallen lassen.!? Erst seit der Rezeption ist an die Stelle dieses Formalismus
die „freie“ Auslegung der Rechtsgeschäfte getreten.
10. Ob und inwieweit das mittelalterliche Recht Rechtsgeschäfte, die auf
Simulation, Irrtum, Betrug oder Zwang beruhten, als ungültig behandelte,
11) Windscheid-Kipp 1 S. 292.
12) Siehe m. Lehrb. des Handelsrechts § 25.
13) Pr. LR. I, 5 §§ 90 ff.; älteres HG. 319 ff.
14) Sohm, Eheschließung (75) S. 24; Stobbe, Ztschr. f. Rechtsgesch. 13 S. 209;
Franken, Gesch. des franz. Pfandrechts 1 (79) S. 209.
15) L. Seuffert, z. Gesch., der oblig. Verträge (81).
16) Pr. LR. I, 5 8§§ 131, 155, 128. Siehe auch c. c. 1341.
17) Heusler 1 S. 60; Gierke, D. Pr. R. 1 § 3321,3.