Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 112. Rücktritt. 447 
I. Rücktritt ist die Erklärung einer Vertragspartei, daß sie das durch 
ihren Vertrag geschaffene Rechtsverhältnis rückgängig mache. Dem Rücktritt 
ähnlich und doch von ihm zu unterscheiden sind folgende Parteierklärungen: 
1. Eine Vertragspartei erklärt, daß sie die Leistung, die ihr die Gegen- 
partei schuldet, zurückweise und Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordere. 
Damit geht sie von dem Vertrage ab, da sie ja von einer vertragsmäßigen Er- 
füllung der gegnerischen Verpflichtung Abstand nimmt. Andrerseits bleibt sie 
aber auch bei dem Vertrage stehn; denn indem sie Schadensersatz wegen 
Nichterfüllung fordert, verlangt sie gerade, daß ihr aller Vorteil, den ihr der 
Vertrag bei ordnungsmäßiger Erfüllung versprach, unverkürzt verbleibe. Hin- 
gegen eine Partei, die zurücktritt, will von dem Vertrage überhaupt nichts 
wissen, weder von dem Schaden, den er bringt, noch von dem Gewinn, den er 
verheißt; sie erstrebt nicht den Zustand, wie er sein würde, wenn der Gegner 
den Vertrag ordentlich erfüllt hätte, sondern den Zustand, wie er sein würde, 
wenn der Vertrag gar nicht abgeschlossen wäre. Anders gesagt: die Partei, 
die Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordert, verbleibt auf dem Boden 
des Vertrages; die Ansprüche, die sie erhebt, sind deshalb als vertrags- 
mäßige anzusehn und unterliegen der gleichen, vielleicht sehr abgekürzten Ver- 
jährung wie die Ansprüche auf gewöhnliche Vertragserfüllung; die Partei, 
die vom Vertrage zurücktritt und etwa Rückgabe dessen, was sie der Gegen- 
partei gegeben, fordert, verläßt dagegen den Boden des Vertrages; ihre An- 
sprüche sind deshalb nicht als vertragsmäßige anzusehn und unterliegen stets 
der langen Verjährung von dreißig Jahren. 
2. Eine Vertragspartei erklärt, daß sie ein vertragsmäßiges Rechtsverhältnis 
auflöse oder aufkündige. Damit will sie das Rechtsverhältnis nur für die Zu- 
kunft beseitigen, während der Rücktritt den Bestand des Verhältnisses auch 
in der Vergangenheit rückgängig macht. 
II. 1. Daß eine Partei berechtigt ist, von einem Vertrage, den sie bindend 
abgeschlossen hat, nachträglich zurückzutreten, kann auf einer besondern dem 
Vertrage eingefügten rechtsgeschäftlichen Rücktrittsklausel beruhn. Für 
ein durch solche Klausel vertragsmäßig ausbedungenes Rücktrittsrecht gelten 
folgende Bestimmungen. 
a) Ob das Rücktrittsrecht allen beiden Parteien oder ob es nur einer 
von ihnen zustehn soll, hängt von der Vereinbarung ab. Ingleichen kann 
frei vereinbart werden, daß die zum Rücktritt berechtigte Partei den Rücktritt 
nur aus bestimmten Gründen oder daß sie ihn völlig willkürlich erklären 
darf. Besonders häufig ist: 
a) die kassatorische Klausel, d. h. die Vereinbarung, daß eine 
Partei nur dann vom Vertrage zurücktreten darf, wenn die Gegenpartei ihre 
vertragsmäßigen Verpflichtungen nicht gehörig erfüllt; 
6) Die Reugeldklausel, d. h. die Vereinbarung, daß eine Partei
	        
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