Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Zweiter Band. Das Sachenrecht. - Das Recht der Wertpapiere. - Das Gemeinschaftsrecht. - Das Recht der juristischen Personen. - Das Familienrecht. - Das Erbrecht. (2)

94 Buch III. Abschnitt 2. Besitz und Inhabung. 
wenn nicht ausnahmsweise, sei es ausdrücklich, sei es stillschweigend, das Gegen- 
teil bestimmt ist, der mittelbare Besitz mit einbegriffen (s. 868 am Ende).t 
Insbesondre stehn die Besitzansprüche, sowohl die kurz= wie die langfristigen, 
nicht bloß dem unmittelbaren, sondern auch dem mittelbaren Besitzer zu und sind, 
soweit sie sich gegen den gegenwärtigen Besitzer der Streitsache richten, nicht bloß 
gegen den unmittelbaren, sondern auch gegen den mittelbaren Besitzer gegeben. 
Beispiel. A. hat eine Sache dem B. als Pfand überlassen; C. hat sie dem B. ge- 
stohlen und an D. veräußert; D. hat sie dem E. zur Verwahrung gegeben. Hier steht der 
langfristige Herausgabeanspruch nicht bloß dem vormaligen Unterbesitzer B., sondern auch 
dem vormaligen Oberbesitzer A. zu; und dieser Anspruch ist gerichtet nicht bloß gegen den 
jetzigen Unterbesitzer E., sondern auch gegen den jetzigen Oberbesitzer D. 
II. Im einzelnen fehlt es aber an Unterschieden in der rechtlichen Be- 
handlung von mittelbarem und unmittelbarem Besitz keineswegs. Hervorgehoben 
sei einstweilen das Folgende. 
1. Bei den kurzfristigen Besitzansprüchen des Oberbesitzers ist die Frage, 
ob eine gegen ihn verübte Besitzentziehung oder Besitzstörung auf verbotener 
Eigenmacht beruht, nicht allein aus der Person des Ober-, sondern auch aus 
der des Unterbesitzers zu entscheiden: nur wegen einer Handlung, die 
gegenüber allen beiden als verbotene Eigenmacht erscheint, wird dem Ober- 
besitzer ein kurzfristiger Besitzanspruch gewährt. 
a) Hieraus folgt erstens, daß der Oberbesitzer eines kurzfristigen Besitz- 
anspruchs gänzlich darbt, wenn die gegen ihn verübte Besitzentziehung oder Be- 
sitztrung gerade von dem Unterbesitzer ausgegangen ist: während dem Unter- 
besitzer gegen eine Eigenmacht des Oberbesitzers der kurzfristige Besitzanspruch 
vorbehaltlos zugestanden wird, wird er dem Oberbesitzer gegen eine Eigenmacht 
des Unterbesitzers ebenso vorbehaltlos versagt.? 
Beispiele. I. A., der Eigentümer und unmittelbarer Besitzer der beiden Nachbar- 
häuser X und y war, hat X dem B. mietweise überlassen, sich aber das Recht ausbedungen, 
von zwei oder drei beliebigen Obstbäumen in dem zu X gehörigen Garten zur Reifezeit das 
Obst zu holen; nun bestreitet aber B., dem A. jenes Recht zugestanden zu haben; ja er 
unternimmt es sogar, die Obstbäume gegen den Widerspruch A.8 zu fällen; nachdem er zwei 
Bäume niedergelegt hat, hindert A. ihn gewaltsam an der Fortsetzung der Arbeit. Hier hat 
B. den Oberbesitz des A. an dem Garten durch das Niederlegen der Bäume eigenmächtig 
gestört; ingleichen hat aber auch A. dadurch, daß er den B. an dieser Arbeit gewaltsam 
hinderte, seinerseits eine eigenmächtige Störung des Unterbesitzes des B. an jenem Garten 
verübt. Trotzdem kann nur B. gegen A., nicht auch A. gegen B. wegen der Störung einen 
Besitzanspruch geltend machen. Die Folge ist, daß A., wenn er dem Fällen der Bäume 
Einhalt tun will, sich nicht auf seinen Oberbesitz an dem Garten, sondern auf sein Eigentum 
und seine Rechie als Vermieter stützen muß und daß B. eine Klage des A. durch Einreden 
auf Grund angeblicher zwischen A. und ihm getroffener Vereinbarungen in die Länge 
ziehn kann. Siehe auch unten zu 2aa. II. Anders steht es natürlich, wenn B. sich daran 
macht, auch die Obstbäume in dem zu y gehörigen Garten zu sällen; denn hier handelt er 
nicht als Unterbesitzer von x, sondern als Nichtbesitzer von y. 
1) RG. 69 S. 198. 
2) Crome 3 § 350 50, Endemann II, 1 S. 240, Landsberg S. 663; abw. Gierke, D. 
PrR. 2 S. 256.
	        
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