§ 370. Vormundschaft über Volljährige. 5 371. Pflegschaft. 715
M Wird der Vater oder die Mutter als Vormund bestellt, so genießen sie diejenigen
Befreiungen, die bei der Vormundschaft über Minderjährige einem Vormunde durch letzt-
willige Verfügung der Eltern zugesranden werden können, kraft Gesetzes, es sei denn, daß sie
im Fall der Minderjährigkeit des Mündels zur Vermögensverwaltung nicht berechtigt sein
würden; das Vormundschaftsgericht kann aber die Befreiungen außer Kraft setzen, wenn sie
die Interessen des Mündels gefährden würden (s. 1903, 1904).
II. Ist die Entmündigung eines Volljährigen beantragt, so kann eine
vorläufige Vormundschaft schon vor Abschluß des Entmündigungs-
verfahrens angeordnet werden, wenn das Vormundschaftsgericht es zur Ab-
wendung einer erheblichen Gefährdung des Mündels für erforderlich erachtet
(1900).1
1. Das Vormundschaftsgericht hat bei der Bestellung des Vormundes freie Hand; ein
Vorrecht auf die Berufung zur vorläufigen Vormundschaft gibt es nicht (1907).
2. Die vorläufige Vormundschaft endigt (1908; R. F. 57 Nr. 2, 52),
a) wenn der Antrag auf Entmündigung zurückgenommen oder zurückgewiesen wird,
b) wenn die Entmündigung erfolgt und daraufhin endgültig ein Vormund bestellt ist,
Tc) wenn das Gericht sie als überflüssig aufhebt.
III. Die Plegschaft.
l 371.
I. Die Pflegschaft ist eine Fürsorge, die im obrigkeitlichen Auftrage
minderjährigen oder volljährigen Personen sowie unbekannten Interessenten ge-
widmet wird und sich von der Vormundschaft dadurch unterscheidet, daß sie
1. entweder Spezialfürsorge ist, d. h. nur denjenigen Angelegenheiten
des Pfleglings gilt, die der Sorge des Pflegers besonders überwiesen sind, oder
2. eine allgemeine Fürsorge für eine volljährige nicht entmündigte und
demgemäß unbeschränkt geschäftsfähige Person darstellt.
Allgemeine und spezielle Fürsorge oder Vormundschaft und Spezialpflegschaft verhalten
sich zueinander wie Eigentum und Dienstbarkeit: der Unterschied ist nicht, daß jene unbe-
schränkt, diese beschränkt ist, sondern daß bei jener eine etwaige Beschränkung von außen kommt
und den Charakter einer Ausnahme hat, während bei dieser die Beschränktheit auf ihrem innern
Wesen beruht. Demgemäß wird über einen Minderjährigen eine „Vormundschaft“ ohne
weiteren Zusatz angeordnet, während bei Anordnung einer „Pflegschaft“ über einen Minder-
jährigen eine Spezialisierung (z. B. Pflegschaft zum Zweck der Vermögensverwaltung) uner-
läßlich ist.
II. Die einzelnen Fälle der Pflegschaft sind von mannigfacher Art.
1. a) Wer unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundschaft steht, kann
einen Pfleger erhalten, wenn die Eltern oder der Vormund an der Besorgung
irgendwelcher ihn betreffenden Angelegenheiten tatsächlich oder rechtlich behindert
sind; Eltern und Vormund sind verpflichtet, dem Vormundschaftsgericht un-
verzüglich Anzeige zu machen, wenn ein solcher Fall eintritt (1909 1, II).1
1) Schanz, vorläufige Vormundschaft (01); Bretiner bei Gruchot 44 S. 696.
1) Siehe R. 60 S. 134.