Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

4 Zweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. 1. Staatsoberhaupt. 82. 
dieser Titelveränderung darauf nicht geachtet, ob die Landeserwerbung gerade der darmstädtischen 
Linie zufiel. — Am 13. August 1806, bei der Gründung des Rheinbundes, nahm der Landgraf den 
(zuerst 1569 für Toskana geschaffenen) Titel „Großherzog“ an; wegen der Erwerbung des Herzog- 
thums Westfalen fügte er den Zusatz „Herzog in Westfalen“ bei. Als 1815 Westfalen gegen Rhein- 
hessen zum Austausch kam, wurde jener Zusatz durch die Worte „und bei Rhein" ersetzt, in Erinnerung 
daran, daß der größere Theil Rheinhessens vormals zur „Pfalzgrafschaft bei Rhein“ gehört hatte #½. 
5. Vermögensrechte des Großherzogs. Hier sind zunächst solche Rechte des 
Großherzogs zu unterscheiden, die auf der Verfassung, und solche, die auf anderen Rechts- 
titeln beruhen. 
a) Verfassungsmäßige Rechte. In vorkonstitutioneller Zeit bestand in Hessen der 
gleiche Dualismus des Finanzwesens wie in den meisten anderen deutschen Staaten. Das 
öffentliche Vermögen, d. h. dasjenige Vermögen, dessen Einkünfte zur Befriedigung der 
Staatsbedürfnisse bestimmt waren, gehörte zum Theil dem Staate, zum Theil dem 
Landesherrn; ersteres Vermögen wurde als Landesgut, letzteres als Kammer gut 
bezeichnet. Dementsprechend galt auch ein Dualismus der öffentlichen Schuld; ein Theil 
der Schuld lastete als „Landesschuld“ auf dem Landesgut, ein anderer Theil ruhte 
dagegen als „Kammerschuld“ auf dem Kammergut. Der staatsrechtliche Sinn dieses 
Dualismus war dieser: das Landesgut diente ausschließlich zur Deckung der Staats- 
bedürfnisse, und die Landesschulden waren gleichfalls ausschließlich im Staatsinteresse 
aufgenommen; das Kammergut hingegen diente zugleich für die Bedürfnisse des landes- 
herrlichen Hofhalts, und auch die Kammerschulden wurden unterschiedslos bald im Inter- 
esse des Landes, bald im Interesse des Hofhalts aufgenommen. 
Bei Erlaß der Verfassung wurde nun, den Grundsätzen der modernen Finanz- 
verwaltung entsprechend, eine scharfe Trennung des Landeshaushalts und des Hofhaus- 
halts durchgeführt. Damit war die Beibehaltung des Kammerguts und der Kammer- 
schulden in der bisherigen Art natürlich nicht vereinbar. Vielmehr mußte wegen des 
Kammervermögens eine Auseinandersetzung zwischen Staat und Landesherrn erfolgen. 
Auf das Landesgut und die Landesschulden hätte diese Auseinandersetzung an sich nicht 
erstreckt zu werden brauchen; da sie schon bisher ausschließlich den Staat angingen, 
konnten sie auch fernerhin ausschließlich dem Staate verbleiben; indeß war es für viele 
Grundstücke und sonstige Einnahmequellen und auch für zahlreiche Schulden sehr zweifel- 
haft, ob sie zum Landes= oder zum Kammervermögen gehörten; deßhalb wurde zweck- 
mäßig in die Auseinandersetzung auch das Landesvermögen miteinbezogen: Landes= und 
Kammerschulden wurden als einheitliche Passivmasse, Landes- und Kammergut als ein- 
heitliche Aktivmasse behandelt. Im Einzelnen nahm die Auseinandersetzung nach Ver- 
fassung Art. 6, 7, 70 folgenden Gang. 
Die Passivmasse wurde in denkbar einfachster Art allein dem Staate überwiesen; 
alle älteren Schulden, auch solche Kammerschulden, die lediglich für Zwecke des Hofhalts 
aufgenommen worden waren, bekamen nunmehr die Eigenschaft von Staatsschulden. 
Weit schwieriger war die Behandlung der Aktivmasse. 
Zunächst wurde ein Drittel der Domänen dem Staate überwiesen zu dem aus- 
gesprochenen Zwecke, als Deckungsmittel für die vom Staate übernommene Passivmasse 
zu dienen. Dies Domänendrittel ist demgemäß im Laufe der Zeit vom Staate ver- 
äußert und zur Tilgung der Staatsschulden verwendet worden. Nun betrug aber die 
Passivmasse erheblich mehr als der Werth dieses dem Staate überwiesenen Domänen- 
drittels ). Die Zuweisung des Drittels in Verbindung mit der Zuweisung der ganzen 
Passivmasse stellte also ein Abfindungsmittel für den Staat in keiner Weise dar. Es 
nh V. v. 13. August 1806 u. v. 7. Juli 1816. 
2) II. Kammer, 4. Landtag (1830), Beil., Bd. 2, Nr. 232, S. 356.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.