Full text: Der Leumund der Sachsen

12 Die TLeute. 
Da hörte ich die Stimmen einiger Leute aus dem Volke; ich fürchtete, 
unpassende Worte zu hören, wie man sie anderwärts auf den Straßen 
singt, aber wie groß war meine Derwunderung, als ich folgenden Rund. 
reim hörte: „Sie haben sich geliebt und sie sind mit der Hoffnung ge. 
storben, einander wiederzusehen.“ Glückliches Land, wo# solche Gefühle 
volkstümlich sind, wo sie selbst durch die Luft, welche man einatmet, ein 
gewisses religiöses Gemeinschaftsleben verbreiten, dessen zartes Band die 
Liebe zum Himmel und das Mitleid mit der Menschheit sind.“ 
Um sodann einen Beweis von dem vortrefflichen Sustande 
der öffentlichen Sittlichkeit zu geben, erzählt sie: ) 
„Das Pertrauen ist so groß, daß in Leipzig der Besitzer eines 
Apfelbaumes, welchen er an einem öffentlichen Spaziergange gepftanzt 
hat, denselben nur durch einen Anschlag zu schützen braucht, in welchem 
er bittet, ihm keine Früchte zu nehmen. In zehn Jahren hat man 
ihm nicht einen Apfel gestohlen! Ich habe diesen Apfelbaum mit Hoch- 
achtung betrachtet. Den Baum der 5esperiden hätte man nicht besser 
schonen können.“ 
Wir dürfen dies Lob insofern annehmen, als in der That 
ein guter Lern von wahrhafter Frömmigkeit in dem TCharakter 
unfres Dolkes enthalten ist. Sunächst weiß jeder, daß in den 
Dolksliedern, an denen die singende Welt bei uns ihr Wohl- 
gefallen hat, der Gedanke an das Wiedersehen, und zwar nicht 
nur an das nach langer Tremnung auf Erden, sondern auch 
das ewige im Himmel, sehr oft ausgesprochen wird. 
Ja, man versenkt sich in denselben gern mit jener Schwer- 
mut, die, wenn sie gleich an und für sich schmerzlich ist, doch 
dem Herzen wohl thut. Man legt sogar diesen Gedanken in 
Lieder hinein, die ihn an und für sich gar nicht enthalten, wie 
z. B. das bekannte: „Es ist bestimmt in Gottes Rat"“, dessen 
Schluß: „Wenn Menschen auseinander geh'n, so sagen sie auf
	        
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