II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 103
„Es sind zwar in diesem Art. 4 eine Mehrzahl von einzelnen An-
gelegenheiten aufgezählt, welche in dieser Weise in die Kompetenz des
Bundes gezogen werden. Indes ist doch die Aufzählung keineswegs eine
vollständige; es find in anderen Artikeln Dinge, welche der Gesetzgebung
des Bundes zufließen und welche hier doch keine Erwähnung gefunden
haben, namentlich im Art. 32 (jetzt Art. 35) inbetreff des Finanzwesens,
ferner in Beziehung auf die Erledigung von Streitigkeiten, welche auch
im Wege der Bundesgesetzgebung erfolgen soll, genant und da
somit die Aufzählung in dem Art. 4 keine vollständige ist, so rechtfertigt
sich dadurch mein Amendement von selbst.“"
Das Amendement wurde abgelehnt, ohne Gegenstand weiterer Erörterung
geworden zu sein. Aus der Ablehnung ist kein Schluß zu ziehen. Auch
andere Anträge des Abg. Zachariä wurden abgelehnt, weil der Reichstag
an der nicht klaren Bezeichnung „Bundesgewalt“ Anstoß nahm. Es kann
unbedenklich festgestellt werden, daß das Auffichtsrecht des Reichs sich soweit
erstreckt, als durch die Einzelstaaten Reichsgesetze zur Ausführung gelangen.
2. Die Abgrenzung des Aussichtsrechts gegenüber
den Regierungen der Einzelstaaten.
Auf dem Gebiete der Verwaltung wird die Stellung der Einzelstaaten
zu der des Reichs dadurch gekennzeichnet, daß für den größten Teil des
durch Art. 4 der Reichsgesetzgebung überlassenen Gebiets die Verwaltung
bei den Einzelstaaten geblieben ist, und es wäre deshalb unrichtig anzu-
nehmen, daß das Reich im Rahmen seiner durch Art. 4 bestimmten Kom-
petenz unter Ausschluß der Einzelstaaten über Land und Leute herrscht.
Nur die Einzelstaaten verfügen durch ihre Justiz= und Verwaltungsbehörden
über den Apparat, mittels dessen die Reichsgesetzgebung durchgeführt wer-
den kann. Die Landesregierungen find daher für die richtige Ausführung
der Reichsgesetzgebung dem Reiche verantwortlich, natürlich aber erst dann,
wenn innerhalb des Einzelstaats der Instanzenzug völlig erschöpft ist. Des-
halb ist es eine Verschiebung des verfassungsmäßigen Bodens für die Zu-
ständigkeit und Verantwortlichkeit, wenn Einzelfälle, in denen den Landes-
behörden die unrichtige Ausführung von Reichsgesetzen zum Vorwurf
gemacht wird, vor Erledigung des in dem betreffenden Bundesstaate ge-
gebenen Instanzenzuges vor das Forum des Reichstags gebracht werden.
Die Behörden der Einzelstaaten find nicht den Zentralbehörden des
Reichs unmittelbar untergeordnet. Es wäre mit der staatsrechtlichen Stel-
lung der Einzelstaaten unvereinbar, wenn der Bundesrat oder der Reichs-
kanzler in die Tätigkeit der einzelstaatlichen Behörden zur Beseitigung
von Mängeln unmittelbar eingreifen wollte. Im Reichstag ist dies zwar
wiederholt verlangt, von den Vertretern der Reichsverwaltung, d. h. dem
Reichskanzler und seinen Stellvertreter aber stets abgelehnt worden. Viel-
mehr kann der Reichskanzler nur mit den Landesregierungen der Einzel-
staaten sich in Verbindung setzen, mit ihnen in einen Schriftwechsel eintreten
und wenn eine Einigung nicht zustande kommt, die Angelegenheit vor den
Bundesrat bringen. Der Bundesrat fällt gemäß Art. 7 Ziff. 3 die Ent-
scheidung, der sich der Einzelstaat zu unterwerfen hat. Im übrigen ent-
spricht es der Praxis, daß Beschwerden, die sich auf einzelne Fälle beziehen,
und die namentlich im Reichstage sehr oft wegen einzelner Fälle erhoben