Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 105 
fällig, daß andere Abgeordnete oder Vertreter der Regierung zu diesen Aus- 
führungen keine Stellung genommen haben, und man wird deshalb daraus, 
daß den Ausführungen weder zugestimmt noch widersprochen worden ist, 
teine besonderen Schlüfsse ziehen dürfen. In der Literatur ist dem von 
dem Abg. Schwarze eingenommenen Standpunkt im allgemeinen zugestimmt 
worden, so u. a. von v. Rönne, II S. 64 unter Berufung auf den vom 
Abg. Schwarze angegebenen Grund, daß das Wort „Beaufsichtigung“ im 
Art. 4 vor das Wort „Gesetzgebung“ gestellt ist (vgl. auch v. Seydel S. 60 f.), 
ebenso Arndt Kommentar S. 99, Reincke S. 50 Nr. 2, Laband in der 
D. Jur. Zeit. 1906, S. 613ff. besonders S. 615. Laband hat sich darauf be- 
rufen, daß die Ausführungen des Abg. Schwarze unwiderlegt geblieben 
find, ferner auf den Wortlaut des Art. 4 und die bisherige Praxis; was 
den Wortlaut des Art. 4 betrifft, hat Laband insbesondere auf Ziff. 9 
Bezug genommen und ausgeführt, daß wenn in Ziff. 9 die Kompetenz 
des Reichs auf den „Zustand“ der mehreren Staaten gemeinsamen Wasser- 
straße erstreckt werde, so könne darunter nur eine Aufsicht über die Ver- 
waltungstätigkeit der Bundesstaaten zur Erhaltung eines ordentlichen Zu- 
standes der Wasserstraßen verstanden werden; dagegen sei ihr „Zustand"“ kein 
Gegenstand der Gesetzgebung. Es ist ferner angeführt worden, daß zur 
Beaufsichtigung der Auswanderung schon durch Beschluß des Bundesrats 
v. 11. Juli 1868 ein Reichskommissar bestellt, ein Gesetz über das Aus- 
wanderungswesen aber erst am 9. Juni 1897 R. G. Bl. S. 463 erlassen 
worden sei. Endlich ist darauf verwiesen, daß das durch Reichsgesetz 
v. 27. Juni 1873 R.G.Bl. S. 164 errichtete Reichs-Eisenbahnamt nach § 4 
Ziff. 1 dieses Gesetzes das Auffichtsrecht über das Eisenbahnwesen wahr. 
zunehmen habe, während ein Reichs-Eisenbahngesetz nicht erlassen worden 
sei; ebensowenig sei eine reichsgesetzliche Regelung des Eisenbahn--Tarifwesens 
erfolgt, während nach Art. 45 R.V. dem Reich die Kontrolle über das 
Tarifwesen zustehe. Diese Gründe find nicht einwandsfrei. Die mitgeteilten 
Ausführungen des Abg. Schwarze knüpften sich nicht an einen von ihm 
eingebrachten Antrag, sondern enthalten eine Auslegung des von der 
Regierung eingebrachten und insoweit vom Reichstag unverändert ange- 
nommenen Entwurfs, und was die Authentizität dieser Auslegung anbetrifft, 
so liegt nicht mehr als das Zeugnis eines einzelnen Abgeordneten vor. 
Denn wie bereits erwähnt, stand die Frage, um die es sich hier handelt, 
überhaupt nicht und insbesondere nicht zur Diskussion, als der Abg. Schwarze 
das Wort ergriff, und in den die Frage der Justizaufsicht betreffenden 
Erörterungen des Abg. Schwarze stellen seine oben wiedergegebenen Aus- 
führungen eine nicht streng zur Sache gehörige Bemerkung dar, die bei den 
anderen Abgeordneten keinen Widerhall gefunden hat, insbesondere auch 
nicht bei den folgenden Rednern, den Abg. Twesten und Frhr. zur Rabenau, 
deren Ausführungen ebenfalls auf die Frage der Justizaufsicht Bezug hatten 
und unter All 5 wiedergegeben sind. Man darf also der Außerung des 
Abg. Schwarze keine zu große Bedeutung beilegen, und der von ihm an- 
gegebene Grund, daß das Wort „Beauffichtigung“ vor dem Wort „Gesetz- 
gebung“ steht, ist hinfällig. Es fehlt an jedem Anhalt dafür, daß durch 
die Stellung dieser beiden Worte zum Ausdruck gebracht werden sollte, die 
Beauffichtigung des Reichs erstrecke sich auf die noch nicht reichsgesetzlich 
geregelten Angelegenheiten. Auch ist es nicht angängig, diesen Schluß
	        
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