106 II. Reichsgesetzgebung. Art. 4.
daraus zu ziehen, daß Art. 4 Ziff. 9 von einem „Instand“ der Wasser-
straßen spricht. Nach den Ausführungen Labands soll' damit nur die Auf-
sicht des Reichs über die Verwaltungstätigkeit der Bundesstaaten zur Er-
haltung eines ordentlichen Zustandes der Wasserstraßen gemeint sein, weil
der „Zustand“ kein Gegenstand der Gesetzgebung sein könne. Demgegenüber
ist daran zu erinnern, daß die Redaktion des Art. 4 insofern nicht voll-
kommen ist, als die Abhängigkeit der Ziff. 1— 16 von dem einleitenden
Satz des Art. 4 stilistisch nicht gleichmäßig durchgeführt ist; im Eingang
der Ziff. 9 fehlt das Wort „Bestimmung“, wie es enthalten ist in Ziff. 1,
4, 11, 12 und 16; in Ziff. 2 und 13 findet sich dafür das Wort „Ge-
setzgebung“, in Ziff. 3 das Wort „Ordnung“, in Ziff. 7 das Wort
„Organisation“, in Ziff. 15 das Wort „Maßregeln“. Dagegen fehlt eine
derartige Bezeichnung nicht nur in Ziff. 9, sondern auch in Ziff. 5, 6,
8, 10 und 14. Gemeint ist, daß zur „Regelung“ des Zustandes reichs-
gesetzliche Bestimmungen ergehen können, ebenso wie dies vorgesehen ist für
die Regelung des Post= und Telegraphenwesens, der Erfindungspatente und
des geistigen Eigentums. Deshalb kann als bewiesen nicht anerkannt
werden, daß Art. 4 Fälle umfasse, in denen nur die Beauffichtigung und
nicht die Gesetzgebung möglich sei. Ebensowenig kann man sich auf
die bisherige Praxis berufen. Wenn 8§ 4 Ziff. 1 des Reichsgesetzes v.
27. Juni 1873 dem Reichs-Eisenbahnamt die Aufficht über das Eisenbahn-
wesen der Bundesstaaten überträgt, während andererseits ein allgemeines
Reichs= Eisenbahngesetz auf Grund des Art. 4 Ziff. 8 nicht ergangen ist,
so ist zu berücksichtigen, daß dieses Aufsichtsrecht des Reichs-Eisenbahnamtes
nicht auf Art. 4 Ziff. 8, sondern auf Art. 41—47 R.V. beruht und sich
nicht weiter erstreckt als die Kontrollbefugnisse, die durch Art. 41—47 dem
Reich über das Eisenbahnwesen der Einzelstaaten zugewiesen find. Wenn
ferner darauf hingewiesen ist, daß nach Art. 45 dem Reich die Kontrolle
über das Tarifwesen der Eisenbahnen zustehe, während ein Reichsgesetz über
das Eisenbahn-Tarifwesen noch nicht ergangen sei, so erledigt sich dieser
Einwand dadurch, daß es sich bei Art. 45 um eine Spezialbestimmung
handelt, die ausnahmsweise auch in einer reichsgesetzlich nicht geordneten
Angelegenheit dem Reich Aufsichtsbefugnisse übertragen kann. Es folgt aber
nicht daraus, daß sich dasselbe Auffichtsrecht aus Art. 4 ohne entsprechende
reichsgesetzliche Regelung ergibt. Wäre dies der Fall, würde schon durch
Art. 4 Ziff. 8 ein uneingeschränktes Aufsichtsrecht des Reichs begründet
sein, so wäre die Bestimmung des Art. 45 überflüssig. Endlich ist darauf
Bezug genommen, daß schon durch Beschluß des Bundesrats v. 11. Juli 1868
ein Reichskommissar für das Auswanderungswesen bestellt worden sei,
während das Auswanderungswesen erst durch Gesetz v. 9. Juni 1897 reichs-
gesetzlich geregelt worden ist. Es fehlt aber ein Anhalt dafür, daß dieser
Kommissar wirklich Absichtsbefugnisse gehabt hat, abgesehen von den An-
gelegenheiten, die durch andere Reichsgesetze schon geregelt waren; die ihm
durch das Reichsgesetz v. 9.1Juni 1897 (§ 41) übertragenen Befugnisse kann
er vor Erlaß des Gesetzes nicht gehabt haben, da vorher die reichsgesetzliche
Unterlage für diese Befugnisse fehlte. Es dürfte in diesem wie in ähnlichen
Fällen sich nur darum gehandelt haben, daß das Material für das zu-
künftige Reichsgesetz durch möglichst genaue Beobachtung der tatsächlichen
Verhältnisse und der Wirkung der bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften