Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 111 
„Es ist übrigens dieser Unterschied nicht bloß in der Frankfurter 
Reichsverfassung, sondern auch in der Erfurter Unionsverfassung scharf 
aufgefaßt und festgehalten worden. Sie finden daselbst allenthalben, 
wo von Eisenbahn- und Zollwesen die Rede ist, daß die Reichsgewalt 
die Gesetzgebung und Oberaufficht hatte, daß aber wo von Justizgesetz- 
gebung die Rede ist, bloß von der Gesetzgebung gesprochen wird, und 
ich glaube, daß auch hierin ein bedeutender Unterschied liegt. Wenn ich 
übrigens das eine Beratungsprotokoll der H. Bundeskommissarien richtig 
verstehe, so will es mir auch scheinen, als ob ein solcher Artikel bereits 
früher vorhanden gewesen und aus redaktionellen Gründen verändert 
wurde, um sämtliche Gegenstände, welche Art. 4 enthält, zusammen- 
zufassen."“ 
Hiergegen hat sich der Abg. Twesten mit folgenden Ausführungen 
gewendet (St. B. 315): 
„Es ist kein redaktioneller, sondern ein tiefgreifender Unterschied. Die 
Gesetzgebung des Bundes würde ein leeres Wort bleiben, wenn der 
Bund nicht die Macht hätte, die Ausführung der Bundesgesetzgebung 
zu beaufsichtigen und für ihre Durchführung Sorge zu tragen. Die 
Beauffichtigung wird allerdings eine andere sein in den Fällen der 
Justizpflege und eine andere, wo es sich um Gegenstände der unmittel- 
baren Verwaltung handelt. Wie aber im Art. 18 (sjetzt Art. 17) dem 
Präsidium ausdrücklich neben der Verkündigung der Bundesgesetze auch 
die Überwachung der Ausführung derselben beigelegt ist, so bitte ich Sie 
auch hier keinen Unterschied eintreten zu lassen. Wenn der Bund über 
Handelsrecht, Wechselrecht, Gerichtsordnung, Strafrecht usw. Gesetze er- 
läßt, muß er auch das Recht haben, dafür Sorge zu tragen, daß die 
einzelnen Staaten sich nicht dieser Gesetzgebung entziehen und dadurch 
die Einführung dieser Gesetze illusorisch machen. Deshalb ist es in 
meinen Augen sehr wichtig, daß dem Bunde nicht bloß die Gesetzgebung, 
sondern auch überall, wo er überhaupt kompetent ist, die Beaufsichtigung 
zugesprochen wird.“ 
Dem Abg. Twesten ist der Abg. Frhr. zur Rabenau (St. B. 315) 
mit folgender Erklärung beigetreten: 
„Schon der alte ... Bund (d. h. der bis 1866 in Kraft gewesene 
deutsche Bund) hat die Aufsicht darüber gehabt, daß die wenigen Gesetze, 
die unter seiner Autorität zustande gekommen find, auch in den einzelnen 
Bundesstaaten eingeführt wurden. Die Versammlung wird wohl daran 
tun, der jetzigen Bundesversammlung (dem Bundesrat) ein solches Recht, 
welches ich für durchaus notwendig halte, nicht zu entziehen."“ 
Der Antrag Schwarze wurde sodann abgelehnt. Man hat also mit 
Vorbedacht auch die Angelegenheiten der Rechtspflege dem Aufsichtsrecht des 
Reichs unterstellt, war sich jedoch darüber klar, daß — wie insbesondere 
der Abg. Twesten hervorgehoben hat — die Aufsicht hier eine ganz andere 
Bedeutung hat wie in Verwaltungssachen. Selbstverständlich bezieht sich 
die Aufsicht des Reichs nicht auf die Anwendung des geltenden Rechts durch 
die nach § 1 G.V.G. unabhängigen Gerichte. Aber die Aufsicht des Reichs 
erstreckt sich auf der einen Seite soweit wie die Justizverwaltung der 
Bundesregierungen — immer mit der Einschränkung, daß sie nur gegen- 
über den Landesregierungen selbst, nicht gegenüber den Justizverwaltungs-
	        
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