II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 115
Heimatsberechtigung in den Stadt- und Landgemeinden darf landesgesetzlich
nicht nach Grundsätzen geregelt werden, die den Bestimmungen über das
gemeinsame Indigenat aller Reichsangehörigen oder den allgemeinen Be-
stimmungen über Freizügigkeit, Unterstützungswohnsitz oder den anderen vor-
erwähnten Reichsgesetzen zuwiderlaufen; vgl. Art. 3,VI S. 91f.
T) Staatsbürgerrecht.
Das Staatsbürgerrecht ist der Inbegriff der aus der Staatsangehörigkeit
hervorgehenden politischen Rechte; vgl. Art. 3, III6. Im weiteren Sinne
umfaßt es die Staatsangehörigkeit selbst und die aus ihr sich ergebenden
Rechte und Pflichten, aber in seinem engeren und eigentlichen Sinne be-
zeichnet das Wort „Staatsbürgerrecht“ diejenigen politischen Rechte, die
nicht alle Staatsangehörigen, sondern nur die volljährigen, männlichen,
vollberechtigten Staatsbürger gegenüber der Landesregierung des Staates,
dem sie angehören, besitzen. In diesem engeren Sinne war ursprünglich
das Wort im Art. 4 Ziff. 1 der Verfassung des Norddeutschen Bundes
gebraucht. Es ist auffällig und entsprach kaum der Stellung, welche die
Einzelstaaten dem Norddeutschen Bunde gegenüber einnahmen, und den
Zwecken, für die der Bund gegründet war, daß für dieses seinem Wesen
nach so ganz und gar eine innere Angelegenheit der Einzelstaaten darstellende
Verhältnis eine reichsgesetzliche Regelung in Aussficht genommen war, aber
in der Tat war dies wenigstens von einer Seite beabsichtigt. Das Wort
„Staatsbürgerrecht“ im Art. 4 Ziff. 1 befand sich noch nicht im Regierungs-
entwurf, sondern ist auf Antrag des Abg. Frhr. v. Hammerstein durch den
konstituierenden Reichstag eingeführt worden. Der Antragsteller erklärte
zur Begründung seines Antrags in der Reichstagssitzung v. 20. März 1867
St. B. 270: .
„Das Indigenat würde sehr erheblich abgeschwächt und eingeschränkt
werden, wenn es nur einen Titel zur Erlangung des Staatsbürgerrechts
geben sollte, während wir andererseits nicht wissen, unter welchen Be-
dingungen das Staatsbürgerrecht in den Einzelstaaten erteilt wird. Es
ist freilich von seiten eines der Herren Bundeskommissarien (Hofmann vgl.
Art. 3, III 6) näher ausgeführt worden, daß es einen Unterschied gebe
zwischen Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerrecht, daß in dem Inländer-
werden die Staatsangehörigkeit mitbegriffen sei, daß aber das Staats-
bürgerrecht noch etwas anderes sei, indem Minderjährige, Frauen,
Verurteilte und andere Kategorien in den einzelnen Staaten vom
Staatsbürgerrecht ausgeschlossen seien, obwohl sie Staatsangehörige find.
Gerade diese Ausführung gibt mir die Überzeugung, daß wenn wir die
Worte: „zur Erlangung des Staatsbürgerrechtes“ (im Art. 3) nicht
gestrichen haben, wie wenn wir das Indigenat kein leeres Wort sein
lassen wollen, in Nr. 1 Art. 4 wir hinter „Niederlassungsverhältnisse“
hinzufügen müssen „Staatsbürgerrecht“. Die Folge ist die, daß diejenigen
einer Realisierung des Indigenats hinderlichen Verschiedenheiten, die in
den Einzelstaaten in Beziehung auf die Bedingungen zur Erlangung des
Staatsbürgerrechts bestehen, wenigstens durch die Bundesgesetzgebung be-
seitigt werden können, und das ist es, was ich will; denn geben wir
ein Indigenat, so müssen wir damit auch das geben, daß ein Bürger
des neuen deutschen Bundesstaates auch in der Lage sich befinde, nach
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