Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

116 II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 
gleichen Verhältnissen und nach gleichen Voraussetzungen in jedem deutschen 
Bundesstaate das Staatsbürgerrecht zu erwerben.“ 
Der Bundeskommissar v. Savigny erklärte hierauf, nachdem er sich 
zunächst über die Zusätze, betreffend Paßwesen und Fremdenpolizei, geäußert 
hatte St. B. 272: 
„In Beziehung auf den anderen Gegenstand, daß auch die Worte 
„Erlangung des Staatsbürgerrechts“ hinter „Niederlassungsverhältnisse“ 
aufgenommen werden sollen, so erkläre ich, daß wir diesen Punkt zur 
Erwägung nehmen wollen. Er schneidet aber zu tief in das innere 
Staatsrecht der einzelnen Länder ein, als daß ich schon jetzt in der Lage 
sein könnte, darüber eine vollgültige Erklärung abzugeben.“ 
Schon hierin ist zum Ausdruck gebracht, daß die Verbündeten Regie- 
rungen wenig geneigt waren, der Ausführung dieser Bestimmung, d. h. einer 
Gesetzgebung über das „Staatsbürgerrecht“ näher zu treten, weil darin ein 
zu tief gehender Eingriff in das innere Staatsrecht der Einzelstaaten gesehen 
wurde. Noch einen Schritt weiter in dem der Absicht des Antrages Hammer-= 
stein entgegengesetzten Sinne ging der Bundesrat, als er i. J. 1870 nach 
einem bei Laband I S. 127 A. 5 angeführten Beschluf e (Protokolle 1870 
§ 24) annahm, daß das Wort keranbherucht auch die in der Staats- 
angehörigkeit (Indigenat) enthaltenen Rechte und Pflichten umfasse. Hier 
wird also das Wort in seinem weiteren Sinne genommen, während die 
Begründung des Antrages Hammerstein sich nur auf den engeren Sinn 
bezog. Mit voller Entschiedenheit aber zogen sich endlich die Verbündeten 
Regierungen von dem Standpunkt dieses Antrages zurück, als es zur Fest- 
stellung der Reichsverfassung kam. Das Schlußprotokoll zum Versailler 
Vertrage v. 23. Nov. 1870 BGBl. 1871 S. 23 bestimmt in Ziff. U.: 
„Von Seite des Kgl. Preußischen Bevollmächtigten wurde anerkannt, 
daß unter der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes über Staatsbürgerrecht 
nur das Recht verstanden werden solle, die Bundes= und Staatsangehörig- 
keit zu regeln und den Grundsatz der politischen Gleichberechtigung aller 
Konfessionen durchzuführen, daß sich im übrigen diese Legislative nicht 
auf die Frage erstrecken solle, unter welchen Voraussetzungen jemand zur 
Ausübung politischer Rechte in einem einzelnen Staate befugt sei."“ 
Ursprünglich befanden sich in dieser Erklärung an Stelle der Worte 
„verstanden werden solle“ die Worte „zu verstehen sei“. Hierzu erklärte 
der Abg. Lasker im Reichstage: 
„In dem Abschnitt lI aber finde ich, daß die bayrische Regierung ein 
wenig über das Ziel hinausgeschofsen ist, indem sie nicht bloß für sich 
allein, sondern eine allgemeine Interpretation erwirkt hat, welche rück- 
wirkende Kraft haben soll über Rechtsverhältnisse, die bereits geordnet 
find. Es ist zuviel zugemutet, daß wir im Norddeutschen Bunde eine 
Interpretation, wie sie Bayern wünscht, uns gefallen lassen müssen, auch 
rückwärts für eine Zeit, in welcher Bayern noch gar nicht Mitglied des 
Bundes war.“ 
Es wurde darauf Nr. 11 des Schlußprotokolls vom Reichstage ab- 
gelehnt und bei der Schlußberatung in der jetzigen Form hergestellt. Dem 
Bedenken des Abg. Lasker wurde Rechnung getragen, und die rückwirkende 
aat der Interpretation ausdrücklich ausgeschlossen; vgl. v. Seydel Art. 4 
64.
	        
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