Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 117 
Von dem ursprünglichen Sinne des Wortes „Staatsbürgerrecht“ blieb 
also nach der ausdrücklichen Bestimmung des Schlußprotokolls nur noch 
die Durchführung des Grundsatzes der politischen Gleichberechtigung aller 
Konfessionen übrig. Damit war die Zuständigkeit des Reichs für den Er- 
laß des Gesetzes betr. die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürger- 
licher und staatsbürgerlicher Beziehung v. 3. Juli 1869 B. G. Bl. S. 292 
anerkannt; val. Art. 3, III7. Dieses Gesetz, nach welchem insbesondere die 
Befähigung zur Teilnahme an der Gemeinde-= und Landesvertretung und 
zur Bekleidung öffentlicher Amter vom religiösen Bekenntnis unabhängig 
sein soll, enthält allerdings eine Regelung über die politischen Rechte, die 
den Angehörigen der Einzelstaaten in dem Staate zustehen, dem sie angehören, 
betrifft also in der Tat das „Staatsbürgerrecht“ im engeren und eigentlichen 
Sinne. Aber das Gesetz ist das einzige Reichsgesetz seiner Art, weil das 
Reich die Zuständigkeit zu einer weiteren Gesetzgebung auf politischem Gebiet, 
wie sie noch der Norddeutsche Bund hatte, nicht mehr besitzt. Die Reichs- 
verfassung ist in diesem Punkte bewußt geändert worden. Das Wort 
„Staatsbürgerrecht“ im Art. 4 Ziff. 1 ist jetzt gegenstandslos. Denn wenn 
es nichts anderes bedeuten soll als Staatsangehörigkeit, so entspricht dies 
nicht der allgemeinen juristischen und politischen Bedeutung des Wortes. 
Doch war diese Abänderung der Verfassung des Norddeutschen Bundes not- 
wendig, um Ansprüche auf Erweiterung der Reichskompetenz auszuschließen, 
die nicht erfüllt werden konnten. Eine reichsgesetzliche Feststellung über 
das Maß der politischen Rechte, das den Angehörigen der Einzelstaaten 
ihrer Landesregierung gegenüber zusteht, und über die Voraussetzungen, unter 
denen diese Rechte erworben werden, wäre gleichbedeutend mit einer Re- 
vision des Verfassungsrechts der Einzelstaaten durch das Reich und des- 
halb unvereinbar mit der Selbständigkeit, die den Einzelstaaten durch die 
Reichsverfassung verbürgt ist. Es liegt keine Ausnahme von dieser Regel 
darin, daß das nach Erlaß der Reichsverfassung in Kraft getretene Reichs- 
strafgesetzbuch im 88 31 ff. Bestimmungen über die staatsbürgerlichen Folgen 
der Verurteilung zur Zuchthausstrafe und der Aberkennung der bürgerlichen 
Ehrenrechte enthält. Zu diesen Folgen gehört allerdings auch der Verlust 
politischer Rechte, aber da das Strafgesetzbuch notwendigerweise die einzelnen 
Strafen charakterisieren und gleichmäßig regeln mußte, so war eine einheit- 
liche Bestimmung über diese Folgen der genannten Strafen unvermeidlich, 
und die Kompetenz des Reichs hierzu ergibt sich deshalb zwanglos aus 
Art. 4 Ziff. 13, wonach dem Reich die gemeinsame Gesetzgebung über das 
Strafrecht überlassen ist. 
Auf Grund der dem Reich durch die jetzt geltende Bedeutung des 
Wortes „Staatsbürgerrecht“ zugewiesenen Kompetenz ist nur ergangen: 
a) das Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Staatsangehörig- 
keit v. 1. Juni 1870 B.G.Bl. S. 355, gültig im ganzen Reiche; 
vgl. Art. 8, II 5. 
b) das Gesetz v. 20. Dez. 1875 betr. die Naturalisation von Ausländern, 
welche im Reichsdienste angestellt sind, R.G. Bl. S. 324. 
Ein Eingriff in die politischen Rechte und Pflichten, die für die An- 
gehörigen der Einzelstaaten ihrem Heimatsstaat gegenüber begründet sind, 
ist von den Verbündeten Regierungen und der Reichsverwaltung stets mit 
Recht als nicht zur Kompetenz des Reichs gehörend abgelehnt worden, so
	        
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