144 II. Reichsgesetzgebung. Art. 4.
anteilschein= und Zinsbogen, Schecks und Grundstücksübertragungen sowie
eine neue Steuer für Zündwaren und Leuchtmittel hervor. Gegenstand der
Erbschaftssteuer ist nach § 1 des Erbschaftssteuergesetzes R.G.Bl. 1906
S. 654 „der Erwerb von Todeswegen“. Diese Steuer ist vielfach als
direkte bezeichnet worden. Nach preußischem Finanzrecht wird sie als
indirekte behandelt, und dies ist begründet, wenn man als direkte Steuern
nur diejenigen anerkennt, die an einem wirtschaftlichen Zustand oder an
eine Gesamtheit von wirtschaftlichen Vorgängen, als indirekte dagegen
solche, die an einen einzelnen Vorgang anknüpfen. Der Erwerb von Todes-
wegen ist ein einmaliger Vorgang, kein dauernder Zustand und keine Gesamt-
heit wirtschaftlicher Vorgänge, und die Erbschaftssteuer kann deshalb nicht
wie die Einkommens= und sonstigen direkten Vermögenssteuern jährlich
erhoben werden, sondern ihre Erhebung ist von dem zufälligen Eintritt des
sie bedingenden Ereignisses, des Todesfalles, abhängig. Vgl. die Erklärungen
des Staatssekretärs des Reichs-Schatzamts Freih. v. Stengel in den Reichs-
tagsfitzungen v. 12. Dez. 1905, v. 11. Jan. 1906 St. B. 463 A. v. 11. Mai
1906 St. B. 31170) und v. 3. Dez. 1907 St. B. 2016 CD, vgl. ferner
folgende Bemerkung des Direktors im Reichsschatzamt Kühn in der Reichs-
tagsfitzung v. 14. Mai 1906 St. B. 3167B:
„Es liegt im Wesen der indirekten Steuern, daß sie nicht an einen
Zustand, sondern an eine Handlung anknüpfen und daß es also gewisser-
maßen im Belieben der Steuerpflichtigen liegt, ob er sich der Zahlung
der Steuer unterwerfen wolle oder nicht.“
Man kann dies cum grano Salis auf die Erbschaftssteuer anwenden.
Eine Erbschaft anzutreten (d. h. im Sinne des B. G. B. von der Befugnis
zur Ausschlagung keinen Gebrauch zu machen) oder eine sonstige Zuwendung
von Todeswegen anzunehmen, ist ein Akt des freien Willens, den man vor-
nehmen oder unterlassen kann. Eine Bestätigung dafür, daß die Erbschafts-
steuer in der Praxis als direkte behandelt wird, ist auch in der Aus-
legung zu erkennen, die das Reichsgesetz wegen Beseitigung der Doppel-
besteuerung v. 13. Mai 1870 R.G.Bl. S. 119 (jetzt v. 22. März 1909
R.G. B. S. 332) gefunden hat. Das Gesetz bezieht sich nach seinem klaren
Wortlaut (88 1, 2) nur auf die „direkten Staatssteuern.“ Dieser Begriff
ist nach der ständigen Praxis der Verbündeten Regierungen dahin ausgelegt
worden, daß er die Erbschaftssteuer nicht umfaßt, und deshalb sind, um
auch für die Erbschaftssteuer der Einzelstaaten die Doppelbesteuerung aus-
zuschließen, seit der Gründung des Reichs zwischen den Verbündeten Re-
gierungen eine Anzahl besonderer Verträge geschlossen worden, die gegen-
standslos und überflüssig wären, wenn die Erbschaftssteuern unter den Begriff
der „direkten Staatssteuern“ im Sinne des Ges. v. 18. Mai 1870 fielen;
vgl. die Erklärung des Staatssekretärs des Reichsschatzamts Freih. v. Stengel
in der Reichstagssitzung v. 27. März 1906 St. B. 2339 und den Kom-
missionsbericht des Reichstages Anl. der 11. Leg.-Per. Seff. 2 Bd. 5 S. 3973
Nr. 360. Andererseits ist allerdings zuzugeben, daß im wirtschaflichen
Effekt die Erbschaftssteuer den Vermögenssteuern im engeren Sinne des
Wortes, z. B. der preußischen Ergänzungssteuer, deren Eigenschaft als direkte
Steuer zweifellos ist, sehr nahe steht; vgl. die Erklärung des Reichskanzlers.
Fürst Bülow in der Reichstagssitzung v. 6. Dez. 1905 St. B. 120 A. Kommt
man deshalb zu dem Schluß, daß der Charakter der Erbschaftssteuer als.