Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 159 
Herstellung von Wasserstraßen hat das Reich Gebrauch gemacht durch die 
Anlegung des Nordostseekanals, die auf dem Reichsgesetz v. 16. März 1886 
R.G. Bl. S. 58 beruht. 
Ziffer 9. 
Der Flößerei= und Schiffahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemeinsamen 
Wasserstraßen und der Zustand der letzteren, sowie die Fluß= und sonstigen 
Wasserzölle; desgleichen die Seeschiffahrtszeichen (Leuchtfeuer, Tonnen, Baken 
und sonstige Tagesmarken). 
Unter „Zustand der Wasserstraßen“ ist zu verstehen die Aufsicht des 
Reichs — und eventuell die Gesetzgebung — zur Erhaltung eines für den 
Flößerei= und Schiffahrtsbetrieb brauchbaren Zustandes der für mehrere 
Staaten gemeinsamen Wasserstraßen. Laband III S. 250 ist der Ansicht, daß 
die Kompetenz des Reichs sich nicht nur auf den Zustand der Wasserstraßen in 
Beziehung auf die Flößerei und den Schiffahrtsbetrieb beschränke, sondern 
daß sie den gesamten Zustand der Wasserstraßen auch in bezug auf Fischerei, 
Uferbauten, Flußkorrektionen, Brückenanlagen usw. umfasse, insbesondere die 
aus gesundheits- oder veterinärpolizeilichen Rücksichten gebotene Reinhaltung 
des Wassers. Laband schließt dies daraus, daß die Worte „und der Zu- 
stand der letzteren“ „in den Grundzügen“ der Verfassung v. 10. Juli 1866 
und in dem preußischen Entwurf der Norddeutschen Bundesverfassung ge- 
fehlt haben, in dem vor den Reichstag gebrachten Entwurf aber bereits 
enthalten sind und folglich bei den Berliner Konferenzen von 1867 hinzu- 
gekommen sein müssen. Laband folgert daraus, daß diesen Worten eine 
selbständige Bedeutung zukommen müsse, also anzunehmen sei, daß durch fsie 
die Zuständigkeit des Bundes über die im preußischen Entwurf gezogenen 
Grenzen hinaus erweitert worden sei. Dies ist mindestens zweifelhaft. Die 
Hinzufügung der Worte „und der Zustand der letzteren“ läßt sich auch da- 
mit erklären, daß ohne diesen Zusatz der Zweifel hätte entstehen können, ob 
nur die Regelung des Flößerei= und Schiffahrtsbetriebes selbst — in bezug 
auf Schiffsmaterial, Dienstverhältnis der Mannschaft, Geschäftsbetrieb der 
Unternehmer, polizeiliche Sicherheitsmaßregeln zum Schutz der Personen und 
Güter usw. — und nicht die Brauchbarkeit der Wasserstraßen für den 
Schiffahrtsbetrieb der Reichskompetenz hätte unterstellt werden sollen. Ferner 
könnte, wenn die Worte „Zustand der Wasserstraßen“ eine so allgemeine 
Bedeutung haben sollen, daß sie auch die Fischerei, Brückenanlagen, Rein- 
haltung des Wassers im gesundheits= und veterinärpolizeilichen Interesse 
umfassen — die Frage aufgeworfen werden, ob es dann überhaupt nötig 
gewesen wäre, neben diesen Worten den „Flößerei= und Schiffahrtsbetrieb" 
besonders zu nennen. Die Verhandlungen des konst. Reichstages geben 
keinen Aufschluß über die vorliegende Frage. Bald nach dem Inkrafttreten 
der Verfaffung ist aber in der Petitionskommission des Reichstages (An- 
lagen der 1. Leg.-Per. 1869 Nr. 232) einmal die Frage praktisch geworden, 
ob auf Grund des Art. 4 Ziff. 9 das Reich zuständig sei zur Erledigung 
einer Beschwerde gegen die preußische Regierung wegen Versagung der Kon- 
zession für einen Fährbetrieb auf der Elbe. Die Petitionskommission hat 
dies allerdings angenommen, der Bundeskommissar erklärte dagegen, daß die 
Kompetenz des Bundes sich nur aus der Behauptung der Petenten herleiten 
lassen würde, daß das Verfahren der preußischen Regierung mit den über
	        
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