Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

182 II. Reichsgesetzgebung. Art. 5. 
25. Febr. 1907 St. B. S. 33. Kann die Verständigung für einzelne Fragen 
auch auf diesem Wege nicht erreicht werden, so bleibt noch übrig, sie durch 
Verbindung mehrerer schwebender Fragen herbeizuführen. 
Die Notwendigkeit von Kompromissen zwischen Bundesrat und Reichstag 
ist also eine Konsequenz des geltenden Verfassungsrechts. Eine Bestätigung 
hierfür kann aus nachstehender Erklärung entnommen werden, die Fürst 
Bismarck einmal im Herrenhause, kurze Zeit vor der Gründung des Reichs, 
am 17. Dez. 1868 St. B. 55 abgab: 
„Ich bin der überzeugung, daß die Gesamtheit des konstitutionellen Lebens 
eine Reihe von Kompromissen bildet, welche zu fördern zwischen den ver- 
schiedenen Faktoren ich als wesentliche Aufgabe einer konstitutionellen Regie- 
rung ansehe. Ein Kompromiß kann niemals zustandekommen, wenn niemand 
bereit ist, von seiner überzeugung einen Teil und auch von seiner ehrlichen 
überzeugung den Mitkonkurrenten beim Kompromittieren zu opfern." 
In dem gleichen Sinne hat in neuerer Zeit der Reichskanzler Fürst 
Bülow im Reichstage wiederholt, u. a. in der Sitzung v. 3. Dez. 1901 
St. B. 2931 A, sich geäußert, ein Beweis, daß in den vier Jahrzehnten, 
welche die bisherige Geschichte des neuen Deutschen Reichs umfassen, in der 
Bedeutung dieses Satzes und in seiner Anerkennung durch die verantwort- 
lichen Leiter der Reichspolitik sich nichts geändert hat; Fürst Bülow hat 
damals erklärt: 
„Wir alle wissen doch, daß das konstitutionelle Leben auf dem Prinzip 
der gegenseitigen Verständigung beruht, auf dem wechselseitigen Entgegen- 
kommen und hier und da auch auf Kompromissen.“ 
Für den Weg, auf dem das Kompromiß erstrebt werden muß, hat 
Fürst Bismarck folgende Weisung gegeben (Reichstagssitzung v. 1. März 
1870 St.B. 131): 
„Ich bin überzeugt, daß der Bundesrat und die gesamte Regierung 
sich nicht nur mit der Mojorität des Reichstags, sondern was unter 
Umständen etwas ganz anderes sein kann, auch mit der Majorität des 
Volks in voller übereinstimmung über die Ziele halten muß, die zu 
erstreben sind, und daß solche Ziele, die im Widerspruch mit der öffent- 
lichen Meinung der großen Mehrheit des Volks von dem Bundesrat 
erstrebt werden könnten, von ihm schwerlich erreicht, aber auch gar nicht 
zu erreichen versucht werden würden.“ 
In dem gleichen Sinne hat sich in neuerer Zeit im Abgeordnetenhause 
(Sitzung v. 29. Mai 1906 St. B. 5462) der Reichskanzler v. Bethmann 
Hollweg als damaliger preußischer Minister des Innern geäußert, als die 
Frage der Mitwirkung des preußischen Landtags bei der Instruktion der 
preußischen Bundesratsbevollmächtigten erörtert wurde (vgl. über diese Frage 
Art. 7 Cll): 
„Ich glaube, es ist eine Verkennung, wenn Sie annehmen, daß eine 
einzelstaatliche Regierung sich jemals in ihrer Haltung im Bundesrate 
vollkommen loslösen könnte, auch wenn sie es wollte, aber sie will es 
nicht — von den Kräften, die im Staatsleben wirksam find."“ 
Neben der Fühlung, welche die Regierung mit dem Volk, „mit allen 
im Staatsleben wirksamen Kräften“, über die Ziele der Gesetzgebung sucht, 
ist die Rücksichtnahme auf die im Reichstage herrschende Stimmung eine 
Voraussetzung der nach Art. 5 R.V. erforderlichen Einigung. Fürst Bismarck
	        
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