II. Reichsgesetzgebung. Art. 5. 183
hat für die Verhältnisse der preußischen Verfassung, die analog liegen, ab-
gesehen davon, daß es hier drei Faktoren find, die für das Zustandekommen
von Landesgesetzen in Ubereinstimmung bleiben müssen: Krone, Herrenhaus
und Abgeordnetenhaus — das staatsrechtliche Verhältnis nach dieser Richtung
einmal in einer Rede beleuchtet, die er am 13. Okt. 1862 in der sogen.
Konfliktszeit in der Schlußfitzung des Landtages hielt; er sagte damals
St. B. 2260 b: »
„Die Regierung S. M. des Königs ist von der Uberzeugung durch-
drungen, daß eine gedeihliche Entwicklung unserer Verfassungsverhältnisse
nur dann erfolgen kann, wenn jede der gesetzlichen Gewalten ihre Be-
fugnisse mit derjenigen Selbstbeschränkung ausübt, die durch die Achtung
der gegenüberstehenden Rechte und durch das verfassungsmäßige Erfordernis
der freien Übereinstimmung der Krone und eines jeden der beiden Häuser
des Landtages geboten ist. Die Regierung S. M. zweifelt nicht, daß die
Entwicklung unseres Verfassungslebens an der Hand der Erfahrung auf
diesem Wege fortschreiten und daß auf dem Grunde der gemeinsamen
Hingebung für die Macht und Würde der Krone und für das Wohl
des Vaterlandes auch die jetzt hervorgetretenen Gegensätze ihre Aus-
gleichung finden werden.“
Auf diesen Standpunkt des Fürsten Bismarck hat im konst. Reichstag
der Abg. Twesten Bezug genommen (Sitzung v. 9. März 1867 St. B. 104)
und geradezu ausgesprochen, daß der Einfluß des künftigen Reichstags auf
der für die Verbündeten Regierungen gegebenen Notwendigkeit beruhe,
Kompromisse zu suchen; er erklärte:
wie Bismarck es bezeichnet hat: die Kompromisse find die
eigentliche Grundlage des konstitutionellen Lebens, des parlamentarischen
Regiments, und eine Regierung, die auf Kompromisse angewiesen ist,
wird deshalb dem Parlament immer einen gewissen Einfluß gönnen und
gönnen müssen.“
Es bleibt noch die Frage übrig, welches Recht gilt, wenn das Kom-
promiß nicht gelingt, und wenn das Zustandekommen eines Reichsgesetzes, das
eine unaufschiebbare politische Notwendigkeit ist, an dem — auch durch Auf-
Iösung und Neuwahlen — nicht zu überwindenden Widerspruch des Reichs-
tags scheitert; z. B. wenn das Etatsgesetz nicht zustande kommt, sodaß alle
für das Reich geleisteten Ausgaben, wenigstens alle nicht sonst reichsgesetzlich
festgelegten Ausgaben der verfassungsmäßigen Grundlage entbehren. Man
kann nur sagen, daß die Reichsverfassung auf diesen Fall nicht eingerichtet
ist, ihn nicht vorgesehen hat und für ihn keine Lösung enthält. Jede für
diesen Fall verfassungsmäßig vorgesehene Lösung, mag sie dem einen oder
dem anderen gesetzgebenden Faktor das Übergewicht geben, würde die Gleich-
berechtigung zwischen Bundesrat und Reichstag zerstören. Andererseits ist
es eine absolute Notwendigkeit, daß der Staat fortbesteht. Handelt es
sich also um Maßregeln, die für die Existenz das Staates ergriffen
werden mühssen, so find gegenüber dieser absoluten Notwendigkeit alle anderen
Schwierigkeiten nur relativer Natur, und das geringere übel ist dann der
verfassungslose Zustand; er ergibt sch ganz von selbst, gewissermaßen kraft
Rechtens; man kann sagen: Die Verfassung tritt ipso jure außer Kraft,
wenn die Voraussetzung wegfällt, auf die sie gegründet ist. Diese Voraus-
setzung besteht darin, daß über die zur Fortexistenz des Staates unentbehr-