Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

184 II. Reichsgesetzgebung. Art. 5. 
lichen Bedürfnisse eine Übereinstimmung zwischen den gesetzgebenden Faktoren 
erzielt wird. Ist es nicht der Fall und tritt die Verfassung deshalb in 
ihrem das Zustandekommen der Reichsgesetze betreffenden Teile tatsächlich 
außer Kraft, so bleibt nur übrig, daß die Machthaber des Reichs, d. h. die 
verfassungsmäßige Exekutivgewalt, der die Militärkräfte und die Civilbehörden 
nach wie vor untergeben bleiben, unter ihrer vollen politischen Verantwort- 
lichkeit die Regierung des Reichs fortführt, alles tut, was die Existenz des 
Staates erfordert, aber auch kein Mittel unversucht läßt, um den verfassungs- 
losen Zustand in einen verfassungsgemäßen zu verwandeln, also den Kon- 
flikt zu beseitigen, damit die Verfassung wieder in Kraft treten kann. Für 
einen derartigen Zustand bietet zwar nicht die Geschichte des Reichs, wohl 
aber die Geschichte Preußens einen Präzedenzfall; dort find bis 1866 mehrere 
Jahre hindurch Ausgaben für die Armee-Reorganisation ohne die durch 
die Verfassung vorgeschriebene etatsmäßige Grundlage geleistet worden, auf 
Grund der Uberzeugung der preußischen Staatsregierung, daß ohne diese 
Ausgaben die Sicherheit des Staates gegen äußere Feinde unmittebar gefährdet 
sei. Fürst Bismarck hat damals in der Sitzung des Abgeordnetenhauses v. 
27. Jan. 1863 St. B. 54 eine Rede gehalten, von der das nachstehende 
Bruchstück klar und scharf die in einem solchen Falle für die Regierung und 
die Volksvertretung entstehende staatsrechtliche Lage beleuchtet; er erklärte u. a.: 
„Jedes dieser drei konkurrierenden Rechte (der Krone, des Herrenhauses 
und des Abgeordnetenhauses) ist in der Theorie unbegrenzt, und das eine 
so stark als das andere (Anerkennung der Gleichberechtigung). Wenn eine 
Vereinbarung zwischen den drei Gewalten nicht stattfindet, so fehlt es in 
der Verfassung an jeglicher Bestimmung darüber, welche von ihnen nach- 
geben muß. Die Verfassung hält das Gleichgewicht der drei gesetzgebenden 
Gewalten in allen Fragen, auch in der Landesgesetzgebung, durchaus fest; 
keine dieser Gewalttaten kann die andern zum nachgeben zwingen; die 
Verfassung verweist daher auf den Weg der Kompromisse zur Verständigung. 
Ein konstitutionell erfahrener Staatsmann hat gesagt, daß das ganze 
Verfassungsleben jederzeit eine Reihe von Kompromissen ist. Wird das 
Kompromiß dadurch vereitelt, daß eine der beteiligten Gewalten ihre eigene 
Ansicht mit doktrinärem Absolutismus durchführen will, so wird die Reihe 
der Kompromisse unterbrochen und an ihre Stelle treten Konflikte, und 
Konflikte, da das Staatswesen nicht stillzustehen vermag, werden zu Macht- 
fragen; wer die Macht in Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor, 
weil das Staatsleben auch nicht einen Augenblick stillstehen kann.“ 
4. Zur Frage des Umfangs des der Reichsgesetzgebung 
eingeräumten materiellen Gebiets. 
Art. 5 bestimmt, auf welchem Wege ein Reichsgesetz zustande kommt, 
enthält aber keine Vorschrift darüber, in welchen Fällen ein Reichsgesetz 
erforderlich ist und in welchen Fällen dies nicht der Fall, sondern eine 
Verordnung ausreichend ist. Auch Art. 4 enthält eine solche Bestimmung 
nicht, da dort nur die Kompetenz des Reichs gegenüber den Einzelstaaten ab- 
gegrenzt ist, die Abgrenzung des Gebiets der Gesetzgebung von dem der Ver- 
ordnung aber nicht die Aufgabe dieser Bestimmung war. Ein allgemeiner 
Grundsatz über den Umfang des der Reichsgesetzgebung im Gegensatz zur 
Verordnung eingeräumten materiellen Gebiets ist in der R.V. überhaupt
	        
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