Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

210 III. Bundesrat. Art. 6. 
Es ist aber nicht richtig, daß — wie u. a. Zorn 1 S. 97 und Arndt S. 91 
bemerken — durch einen Dynastiewechsel die Reichsverfassung überhaupt 
nicht berührt wird. Denn infolge einer Personalunion würde die durch 
Art. 6 bezweckte Verteilung des Einflusses im Bundesrat und damit eine 
der Grundlagen verschoben werden, auf denen das Reich aufgebaut ist; mit 
anderen Worten: es entspricht dem Sinn des Art. 6, daß den einzelnen 
Bundesfürsten nicht mehr und nicht weniger Stimmen im Bundesrat zur 
Verfügung stehen sollen, als ihnen durch Art. 6 überwiesen sind. Natür- 
lich werden durch diese Erwägungen die Rechte nicht berührt, die durch 
Erbverträge usw. bereits begründet waren, als das Reich entstand. Die 
Anerkennung dieser Rechte gehört zu den stillschweigenden Bedingungen und 
Voraussetzungen, unter denen das Reich gegründet ist, und es ist eine staats- 
rechtliche Pflicht aller in Betracht kommenden Faktoren des Reichs, ge- 
gebenenfalls durch eine authentische Deklaration oder Abänderung den 
Art. 6 in Einklang mit dem Zustande zu bringen, der durch solche wohl- 
begründeten, vertragsmäßigen Rechte geschaffen ist. 
VII. Die Abstimmung im Bundesrate. 
Der Bundesrat besteht nicht aus den Souveränen der Bundesstaaten 
selbst, auch nicht aus den Regierungen, ist also nicht identisch mit den 
Mitgliedern des Bundes, sondern er besteht aus denjenigen Personen, welche 
die Mitglieder des Bundes zu ihren Vertretern im Reiche sich bestellt haben, 
und zwar kann jedes Mitglied des Bundes so viele Vertreter zum Bundes- 
rat ernennen, als es Stimmen führt. Die Bezeichnungen für die Bundes- 
ratsmitglieder „Vertreter"“ und „Bevollmächtigte“ im Art. 6 find gleich- 
bedeutend. Jedoch darf die einem Bundesmitglied zustehende Mehrzahl von 
Stimmen nur einheitlich abgegeben werden. Dies entspricht dem Charakter 
des Bundesrats, dessen Mitglieder zwar nach außen, d. h. dem Reich, den 
anderen Verbündeten Regierungen und dem Reichstag gegenüber ihre 
Regierung voll repräsentieren, aber im Verhältnisse zu ihrer Regierung 
nur ausführendes Organ und an die Anweisungen der Regierung, die sie 
vertreten, gebunden sind. Es ist natürlich praktisch ausgeschlossen, daß eine 
zkgierung, der mehrere Stimmen zustehen, diese verschieden instruieren 
önnte. 
Mit der Anzahl der Stimmen, die ein Mitglied des Bundes führt, 
braucht nicht die Zahl der Bevollmächtigten übereinzustimmen, die tatsäch- 
lich an den Verhandlungen des Bundesrats teilnehmen. Die im Art. 6 
bezeichnete Stimmenzahl gibt nur den Verteilungsmaßstab an, nach welchem 
die Majorität des Bundesrats berechnet wird. Es können also gültige Be- 
schlüsse des Bundesrats von einer beliebig kleinen Zahl von Bevollmächtigten 
gefaßt werden, auch dann, wenn durch sie sämtliche Bundesglieder vertreten 
werden, da es zulässig ist, durch Substitutions-Vollmachten die Stimmen 
mehrerer Bundesstaaten auf einen Bevollmächtigten zu vereinigen; vgl. v. 
Jagemann S. 82. Nehmen mehrere Vertreter desselben Staates an der 
Bundesratssitzung teil, so ist einer von ihnen mit der Stimmführung be- 
auftragt; führt ein Mitglied des Bundesrats die Stimmen mehrerer Staaten, 
so gibt er das Votum jedes Staates besonders ab; vgl. Laband I S. 222 
A. 1. Die Bestimmung, daß kein Staat mehr Bevollmächtigte entsenden 
 
	        
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