Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

III. Bundesrat. Art. 7. 215 
Die Entscheidung kann natürlich auch dahin lauten, daß auf die Sache 
einzugehen aus formellen Gründen, z. B. wegen Mangels der Zuständigkeit 
des Reichstages abgelehnt wird. Es entspricht dem Verhältnis, in welchem 
die beiden Körperschaften zu einander stehen, daß der Bundesrat von den- 
jenigen Entschließungen, die nicht zu Reichsgesetzen werden, also sonst nicht 
in die Offentlichkeit dringen würden, dem Reichstag Kenntnis gibt. Über 
die Form, in der dies geschehen soll, enthält die Reichsverfassung keine 
Bestimmung. Der Bundesrat hat deshalb auf einen in der Sitzung 
v. 12. Juni 1872 St. B. 931 ff. geäußerten Wunsch des Reichstags den 
Beschluß gefaßt, die Entschließungen, die er auf die vom Reichstage be- 
schlossenen Gesetzentwürfe und Anträge gefaßt hat, spätestens beim Beginn 
der nächsten Session, d. h. der auf den Beschluß des Bundesrats folgenden 
Session in schriftlicher Form mitzuteilen. Dies ist seit 1872 regelmäßig 
geschehen und der Reichstag hat durch § 31 a seiner Geschäftsordnung 
über die geschäftliche Behandlung dieser Überfichten nähere Bestimmungen 
getroffen. 
2. Art. 7 Abs. 1 bestimmt nur, daß der Bundesrat auf die Beschlüsse 
des Reichstags seinerseits einen Beschluß faßt. Es ist nicht vorgeschrieben, 
daß dem Beschluß eine Begründung beigegeben wird. Tatsächlich geschieht 
es nicht und eine Pflicht zur Begründung ergibt sich auch keineswegs aus 
der Natur dieser Beschlüsse. Denn die Bevollmächtigten stimmen nach In- 
struktionen, deren Motive nicht einmal sie selbst notwendig kennen müssen, 
und die Regierungen der Einzelstaaten können selbst bei übereinstimmenden 
Instruktionen von den verschiedensten Gesichtspunkten ausgehen. Das letztere 
Moment gilt übrigens auch für den Reichstag. Auch der Reichstag ist 
nicht verpflichtet seine Beschlüsse zu begründen. Allerdings ergibt sich hier 
die Begründung in der Regel aus den dem Beschluß vorausgegangenen 
öffentlichen Verhandlungen. Doch ist dies nicht notwendig der Fall und 
die Gründe können widersprechender Natur sein; vgl. die Ausführungen des 
Staatssekretärs des Reichs-Justizamts Nieberding in der Reichstagssitzung 
v. 7. Febr. 1901 St. B. 1207 und des Reichskanzlers Fürst Bülow in der 
Reichstagssitzung v. 22. Febr. 1902 St. BB. 3568 B. 
3. Die Bestimmung, daß der Bundesrat Beschluß faßt „über die 
von dem Reichstage gefaßten Beschlüfse“ rechtfertigt den Schluß, daß der 
Bundesrat zu den Beschlüssen des Reichstags erst Stellung zu nehmen hat, 
wenn sie fertig vorliegen. Er ist also nicht genötigt, sich bereits schlüssig 
zu machen, wenn der Reichstag erst über einen Teil einer Vorlage beschlossen 
hat. Dafür sprechen nicht nur Gründe der geschäftlichen Bequemlichkeit, 
sondern unter Umständen auch die Erwägung — namentlich wenn in einzelnen 
Punkten keine ÜUbereinstimmung erzielt ist — daß der Bundesrat erst nach 
der vollständigen Erledigung der Vorlage durch den Reichstag zu übersehen 
vermag, ob und welche Bedingungen für ein Kompromiß gegeben sind. Der 
Fall wurde praktisch, als bei der Beratung des Entwurfs des Reichs-Straf- 
gesetzbuchs eine erhebliche Meinungsverschiedenheit über die Frage der Be- 
seitigung der Todesstrafe zwischen dem Bundesrat und dem Reichstag ent- 
stand. Damals wurde im Reichstage der Antrag gestellt, vor Fortsetzung 
der 2. Lesung in die 8. Lesung über die einleitenden Bestimmungen und 
den ersten Teil des Gesetzentwurfs einzutreten, damit nicht für den Fall. 
der Ablehnung des amendierten Entwurfs durch den Bundesrat die auf die
	        
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