Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

216 III. Bundesrat. Art. 7. 
weitere Durchberatung des Entwurfs verwendete Zeit und Mühe vergeblich 
sei. Zu diesem Antrage erklärte Fürst Bismarck in der Reichstagssitzung 
v. 10. März 1870 St. B. 250 ar 
„Ich erlaube mir zuerst Zweifel zu äußern, ob dem Bundesrate zu- 
gemutet werden kann, daß er sich über ein Bruchstück eines Gesetzentwurfs, 
der in allen seinen Teilen in organischem Zusammenhang steht, definitiv 
schlüssig machen soll, ohne daß er die Gesamtheit der Beschlüsse des 
Reichstags über alle Teile des Gesetzentwurfs zu übersehen vermag.“ 
Noch bestimmter hat sich bei der Beratung über den Zolltarif von 1900 
der Reichskanzler Fürst Bülow in der Reichstagssitzung v. 13. Dez. 1902 
St. B. 7144 B geäußert: 
„Obwohl sich der Bundesrat verfassungsmäßig erst dann zu den Be- 
schlüssen des Reichstags endgültig zu entschließen hat, wenn diese fertig 
vorliegen, so kann ich schon jetzt erklären, daß die Verbündeten Regierungen 
dem Zolltarif in der nun mehr vorliegenden Fassung ihre Zustimmung 
zu geben bereit find.“ 
III. Die Zustäudigkeit des Bundesrats für den Erlaß 
von Verordnungen. 
Art. 7 Ziff. 2 bestimmt, daß der Bundesrat beschließt: 
„Über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen 
Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sofern nicht durch Reichsgesetz 
etwas Anderes bestimmt ist.“ 
An diese Vorschrift hat sich in der Literatur ein lebhafter Streit über 
die Bedeutung des Wortes „allgemeine Verwaltungsvorschriften“ geknüpft. 
Laband lI S. 82 ff. und S. 185, dem die meisten anderen Schriftsteller 
gefolgt find (angeführt bei Laband IlI S. 82 A. 2 und Deutsches Reichs- 
staatsrecht 1907 S. 128 A. 2 und 4) ist davon ausgegangen, daß ein Gegen- 
satz zwischen Rechts= und Verwaltungsverordnungen besteht, daß nur die 
Rechtsverordnungen Rechtsvorschriften enthalten, die ebenso wie die Gesetze 
alle Untertanen des Landes verpflichten, daß dagegen die Verwaltungsver- 
ordnungen nur Bedeutung für das Verhältnis der höheren zur niederen Be- 
hörde haben; die höhere Behörde könne damit sowohl die Tätigkeit wie die 
Organisation der untergeordneten Behörde regeln, aber nicht in die Rechts- 
verhältnisse des Publikums, d. h. der außerhalb der Behörde stehenden 
Personen eingreifen; vgl. Meyer, § 159 S. 570 ff. Laband und die An- 
hänger des von ihm vertretenen Standpunktes sind der Ansicht, daß das 
Wort „Verwaltungsvorschriften“ im Sinne des Art. 7 Ziff. 2 identisch 
mit der „Verwaltungsverordnung“ sei. Dagegen vertritt Arndt („Verord- 
nungsrecht des Deutschen Reichs,“ ferner Staatsrecht S. 200 ff., Hirth's 
Annalen 1905 S. 454 ff. und Kommentar S. 139 ff.) die Ansicht, daß 
unter „Verwaltungsvorschriften“ im Sinne des Art. 7 Ziff. 2 R.V. auch 
Rechtsvorschriften zu verstehen seien und daß durch diese Bestimmung dem 
Bundesrat das Recht zum Erlaß von Ausführungsvorschriften unbeschränkt 
— natürlich intra legem — gegeben und nur ausgeschlossen werden sollte, 
daß etwa der Bundesrat zum selbständigen Erlaß von Verordnungen ohne 
verfassungs= oder gesetzmäßige Grundlage befugt sei. Die Bezeichnung „Ver- 
waltungsvorschriften“ legt Arndt nach ihrem Wortsinne dahin aus, daß dar-
	        
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