Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

234 III. Bundesrat. Art. 7. 
zu verwechseln, daß nach § 5 der G.O. des Bundesrats die vom Statthalter 
entsandten Kommissare im Verlaufe der Diskussion eines auf die Tages- 
ordnung gesetzten Gegenstandes Anträge stellen und mit Referaten beauftragt 
werden können. Selbständige Anträge außerhalb der Tagesordnung, d. h. 
Anträge im Sinne des Art. 7 R.V. würden für Elsaß-Lothringen nur durch 
Vermittelung des Reichskanzlers gestellt werden können, der in der Lage ist, 
die betreffende Angelegenheit zu einer preußischen zu machen und als An- 
trag Preußens bei dem Bundesrat einzubringen; denn ein Bundesglied muß 
hinter jedem Antrage stehen, der bei dem Bundesrat gestellt wird; vygl. 
O. Mayer, D. Jur.Zeit. 1907 Sp. 617 ff. und die Reichstagsverhandlung 
v. 1. Mai 1907 St. B. S. 1281 ff., insbesondere die Erklärung des Staats- 
sekretärs des Innern Graf Posadowsky-Wehner S. 1282 f. Der dort er- 
örterte Fall betraf einen Initiativ-Beschluß des Landesausschusses von Elsaß- 
Lothringen, wonach im Wege der Landesgesetzgebung der Reichsfiskus für 
den Betrieb der Reichseisenbahnen zur Gewerbesteuer herangezogen werden 
sollte. Der Kaiser gab dem Antrag, diesen Gesetzentwurf vor den Bundes- 
rat zu bringen, keine Folge. Seine verfassungsmäßige Berechtigung zu 
dieser Unterlassung ist nach dem vorstehend entwickelten Gesichtspunkte zweifels- 
frei, auch wenn man von der Bestimmung des § 1 des Ges. v. 2. Mai 1877 
betr. die Verfaffung und Verwaltung von Elsaß-Lothringen R.G.Bl. S. 491 
absieht. § 1 lautet: · 
„Landesgesetze für Elsaß-Lothringen, einschließlich des jährlichen Landes- 
haushalts-Etats, werden mit Zustimmung des Bundesrats vom Kaiser 
erlassen, wenn der durch den Kaiserlichen Erlaß v. 24. Okt. 1874 ein- 
gesetzte Landesausschuß denselben zugestimmt hat.“ » 
WiederWortlautdieserBestimmungergibt,undzumÜberflußin 
der Reichstagstagssitzung v. 10. März 1877 durch übereinstimmende Er- 
klärungen des Regierungsvertreters und mehrerer Abgeordneter, insbes. des 
Abg. Hänel festgestellt wurde, ist durch diese Bestimmung an dem Veto- 
recht, das dem Kaiser in Ansehung der Landesgesetzgebung bis dahin zustand, 
nichts geändert. Wenn die Gesetze vom Kaiser erlassen werden, so können 
sie nicht gegen seinen Willen erlassen werden. Dies ist das Vetorecht. Aus 
der Bestimmung ergibt sich, daß der Kaiser den Erlaß des Gesetzes sogar 
dann verweigern darf, wenn der Bundesrat dem Entwurf zugestimmt hat. 
Aus dem Satze, daß das Präsidium verpflichtet ist, den Vorschlag der 
Beratung zu übergeben, geht hervor, daß diese Vorschläge zunächst dem 
Präsidium mitzuteilen sind. Man hätte erwarten sollen, daß an Stelle des 
Präfidiums der Reichskanzler für verpflichtet erklärt würde, die Vorschläge 
der Beratung zu übergeben, weil ihm nach Art. 15 R.V. der Vorsitz im 
Bundesrat und die Leitung der Geschäfte zusteht und weil es sich hierbei um 
eine formelle, geschäftsleitende Tätigkeit handelt. Es ist anzunehmen, daß 
der Reichsverfassung überhaupt der Gedanke zugrunde liegt, daß der Reichs- 
kanzler stets die Präsidialstimme führt. Durch den Wortlaut des Art. 7, 
wonach das „Präsidium“ für verpflichtet erklärt ist, die Vorschläge der 
Bundesglieder der Beratung zu übergeben, ist aber der Kaiser sebst hierzu 
verpflichtet und deshalb wäre eine entgegengesetzte Instruktion der Präfidial- 
stimme oder eine entgegengesetzte Anweisung an den Reichskanzler nicht möglich. 
Das den Bundesgliedern zustehende Recht reicht nicht soweit, daß die 
sofortige Verweisung des Vorschlages zur Beratung jederzeit verlangt werden
	        
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