258 III. Bundesrat. Art. 9.
Artikel 9.
Jedes Mitglied des Bundesrates hat das Recht, im Reichstage zu
erscheinen und muß daselbst auf Verlangen jederzeit gehört werden, um die
Ansichten seiner Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von
der Majorität des Bundesrates nicht adoptiert worden sind. Niemand
kann7gleichzeitig Mitglied des Bundesrates und des Reichstages sein.
J. Das Recht der Mitglieder des Bundesrats auf jederzeitige Anhörung im Reichstage.
1. Die Inhaber des Rechts.
2. Ist das Recht eine Pflicht?
3. Die Beschränkung des Rechts auf die Geltendmachung der Ansichten der
Regierung.
4. Die Ausübung des Rechts im Reichstage.
5. Die jederzeitige Ausübung des Rechts.
II. Die Inkompatibilität der Mitgliedschaft des Bundesrats und Reichstags.
I. Das Recht der Mitglieder des Bundesrats auf jederzeitige
Auhörung im Reichstage.
1. Die Inhaber des Rechts.
Das Recht, das durch Art. 9 den Mitgliedern des Bundesrats gegeben
ist, bezieht sich auch auf deren Stellvertreter, da es sich nicht um ein persön-
liches Ehrenrecht der Hauptbevollmächtigten handelt, sondern um eine Kon-
sequenz ihres amtlichen Wirkungskreises, der, soweit und so oft der Fall.
der Stellvertretung überhaupt eintritt, auf die Stellvertreter voll übergeht.
Dagegen kann es nach dem Wortlaut des Art. 9 zweifelhaft sein, ob
dasselbe für die Kommissare gilt, die dem Bundesrat zur Unterstützung
bei seinen Arbeiten beigegeben sind, ohne dadurch zu Stellvertretern der
Bundesratsbevollmächtigten bestellt zu werden. Jedoch entbehrt die Frage
der praktischen Bedeutung mit Rückficht auf nachstehende Vorschrift des 8 43
der G.O. des Reichstages:
„Die Mitglieder des Bundesrats und die zu ihrer Vertretung abge-
ordneten Kommissarien müssen auf ihr Verlangen zu jeder Zeit gehört
werden. Auch den Assistenten muß auf Verlangen der Mitglieder des
Bundesrats oder ihrer Vertreter das Wort erteilt werden.“
Die Reichsverwaltung ist danach in der Lage, für alle Personen,
denen sie bei der Vertretung der Vorlagen im Reichstage eine den Mit-
gliedern des Bundesrats gleichberechtigte Stellung verschaffen will, diesen
Zweck dadurch zu erreichen, daß sie die betreffenden Personen dem Reichs-
tage förmlich als zur Vertretung des Bundesrats abgeordnete Kommissare
bezeichnet, und da sie in der Auswahl der Personen freie Hand hat, so steht
theoretisch nichts im Wege, daß auf diese Weise jede beliebige Person auf
den Wunsch der Reichsverwaltung im Reichstage zum Wort gelangen kann.
Art. 9 bezieht sich nicht nur auf diejenigen Mitglieder des Bundesrats,
die nach Art. 16 R.V. mit der Vertretung der betreffenden Vorlage beauf-
tragt sind, sondern nach dem Wortlaut auf sämtliche Mitglieder. Anderer-
seits ist bemerkenswert, daß der Reichskanzler als solcher die Rechte aus
Art. 9 nicht geltend machen kann, sondern er kann es nur insofern, als er