III. Bundesrat. Art. 9. 261
Regierungen ohne weiteres über die Erklärung unterrichtet werden und Ge-
legenheit haben, ihr Widerspruchsrecht auf Grund des Art. 9 nötigenfalls
geltend zu machen; jedoch find die kommissarischen Verhandlungen nicht aus-
geschlossen, wenn nach dieser Richtung durch besondere Vorkehrungen die
Kautelen getroffen sind, welche die öffentlichen Sitzungen des Plenums ohne
weiteres bieten; vgl. die Ausführungen des Staatssekretärs des Reichsschatz-
amts Frhr. v. Stengel in der Reichstagssitzung v. 7. Dez. 1906.
Es ist dabei nicht zu verkennen, daß den vom Bundesratstische aus in
öffentlicher Reichstagssitzung abgegebenen förmlichen Erklärungen eine Be-
deutung zukommt, die weit schwerer wiegt, als die persönliche Autorität des
einzelnen Sprechers. Denn eine für die Verbündeten Regierungen abgegebene
Erklärung ist ebenso wie die Regierungen selbst ein bleibender Faktor, der
unabhängig ist von dem Wechsel der Personen, welche die Erklärung abgegeben
haben und aus denen die Regierung zeitweilig zusammengesetzt ist.
4. Die Ausübung des Rechts im Reichstage.
Die Worte „im Reichstage“ im Art. 9 rechtfertigen den Schluß, daß
das Recht der Bundesratsbevollmächtigten, jederzeit das Wort zu ergreifen,
auf die Kommissions- wie auf die Plenarsitzungen sich bezieht; ebenso Zorn 1
S. 245, v. Jagemann S. 89. Die Bestimmung des 8§27 der G.O. des
Reichstages, wonach die Mitglieder des Bundesrates und dessen Kommissarien
den Abteilungs- und Kommissionssitzungen des Reichstages „mit beratender
Stimme beiwohnen können“, widerspricht dem nicht und ein Widerspruch
der G.O. wäre auch gegenüber der Verfassungsbestimmung wirkungslos.
5. Die jederzeitige Ausübung des Rechts.
Die Bundesratsbevollmächtigten können „jederzeit“ das Wort ergreifen,
d. h. vor allen Abgeordneten, die nach der G.O. und nach der geschäfts-
ordnungsmäßig geführten Rednerliste an die Reihe kommen würden, wenn
kein Mitglied des Bundesrats sich zum Wort gemeldet hätte. Die Mit-
glieder des Bundesrats gelangen also auf ihren Wunsch auch vor dem
Referenten und vor Eröffnung der Diskussion zum Wort; vgl. die Erklärung
des Fürsten Bismarck in der Sitzung des preuß. Abgeordnetenhauses v.
9. Febr. 1866 St.B. 118. Andererseits erfordert die Pflicht des Reichstags,
die Mitglieder des Bundesrats jederzeit anzuhören, nicht, daß die natür-
lichen Grundlagen der parlamentarischen Debatte umgestoßen werden. Es
wird z. B. nicht verlangt werden können, daß Mitglieder des Reichstags
ihre Ausführungen unterbrechen, um die Mitglieder des Bundesrats sofort
zum Wort kommen zu lassen, und auch das Recht des Präfidenten des
Reichstags durch Ausführungen, die sich auf die Geschäftsordnung beziehen,
die Debatte zu leiten, wird durch das Recht der Mitglieder des Bundesrats,
„jederzeit“ gehört zu werden, nicht beeinträchtigt werden dürfen. Natürlich
darf aber der Präfident des Reichstags nicht durch Handhabung der Rede-
ordnung das den Mitgliedern des Bundesrats verfassungsmäßig zustehende
Recht, „jederzeit“ das Wort zu ergreifen, einschränken; vgl. St. B. des
Reichstags v. 1882/1883 S. 2515 ff.
Aus der Bestimmung des Art. 9, daß die Mitglieder des Bundesrats
im Reichstage auf ihr Verlangen „jederzeit“ gehört werden müssen, ergibt
sich zugleich, daß der Präsident des Reichstags ungeachtet seiner Befugnis,