Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

268 IV. Präsidium. Art. 11. 
R.V., abgesehen endlich von dem großen tatsächlichen Einfluß Preußens, 
der sich aus seiner überwiegenden Größe und Einwohnerzahl sowie seiner 
historischen Stellung ergibt, abgesehen von allen diesen Momenten hat der 
Kaiser als solcher eine Fülle von Rechten, die in monarchischen Staaten nur 
dem Landesherrn zustehen, und auch er ist bei der Ausübung seiner Rechte 
von niemandem abhängig und niemandem verantwortlich. Seine Legitimation 
für diese Machtbefugnisse ergibt sich aus seiner erblichen Stellung als 
König von Preußen in Verbindung mit der durch die Reichsverfassung dem 
König von Preußen für ewig zugewiesenen Pofition. Er ist in den wesent- 
lichsten seiner Funktionen, insbesondere von den Verbündeten Regierungen 
unabhängig, und daher im Kreise seiner Machtvollkommenheiten souverän, 
wie die Verbündeten Regierungen es in dem ihrigen sind. Daß der Kaiser 
seine Befugnisse „im Namen des Reichs“ ausübt, ist eine Formel, deren 
tatsächliche Bedeutung sich darin erschöpft, daß sie den Hinweis gibt, der 
Kaiser soll diese Machtvollkommenheiten nicht im einseitigen Interesse der 
Entwicklung einer Hausmacht im Reiche, d. h. nicht im einseitig preußischen, 
sondern im allgemeinen Interesse ausüben; der souveräne Charakter der 
Machtvollkommenheiten wird durch den Hinweis auf dieses Motiv ihrer 
Handhabung nicht beeinträchtigt. Die Klausel ist auf die allgemeine Tendenz 
der Verfassung zurückguführen, nach der es vermieden werden soll, daß 
der Geschäftskreis, der dem Kaiser als solchem obliegt, vermengt oder 
verwechselt wird mit den Rechten, die der Kaiser als König von Preußen 
ausübt. Ein Stellvertretungsverhältnis soll dadurch nicht ausgedrückt werden, 
denn der Kaiser übt diese Befugnisse aus dem durch die Verfassung für ihn 
begründeten eigenen Recht aus. Das Reich ist ein Neutrum, nicht ein per- 
sönlicher Machtfaktor, der dem Kaiser übergeordnet werden könnte. Der Kaiser 
kann in der Souveränetät nur beschränkt sein durch unabhängige Organe 
des Reichs, d. i. der Bundesrat und der Reichstag. Die Beschränkung 
durch den Reichstag reicht nicht weiter als in jedem konstitutionellen Staat 
die Beschränkung des Monarchen durch die Volksvertretung; eine Beschrän- 
kung durch den Bundesrat besteht nicht in dem Sinne, daß der Bundesrat 
dem Kaiser übergeordnet wäre. Das Ergebnis ist: der überlieferte Be- 
griff der Unteilbarkeit der Souveränetät scheitert an dem eigenartigen 
staatsrechtlichen Aufbau des Reichs. Es gibt im Reich zwei souveräne 
Gewalten, den Kaiser und die durch den Bundesrat vertretene Gesamtheit 
der Verbündeten Regierungen; vgl. Art. 6 1 4 S. 195 ff., ferner v. Jagemann 
S. 101f. — dagegen namentlich Laband 1 S. 195 ff., der von der Unteil- 
barkeit der Souveränetät ausgehend dem Kaiser die Souveränetät abspricht. 
Art. 11 zählt nur einen Teil der kaiserlichen Machtbefugnifse auf, 
danach ist der Kaiser grundsätzlich Herr über Krieg und Frieden, und ver- 
tritt das Reich nach außen, d. h. er leitet die auswärtige Politik; er ist, wie 
an anderen Stellen der Reichsverfassung — Art. 68, 53 — bestimmt ist, der 
oberste Kriegsherr, er ernennt und entläßt den Reichskanzler und damit ist der 
ganze Regierungsapparat seiner Verfügung unterworfen. Alle Beamten des 
Reichs — abgesehen natürlich von denjenigen, die richterliche Stellungen 
haben — find die Orgaone des Reichskanzlers. Soweit durch die Gesetzgebung 
und allgemeine vom Bundesrat in den Grenzen seiner Zuständigkeit erlassene 
Verordnungen keine Schranken gezogen find, kann deshalb der Kaiser durch 
den Reichskanzler die gesamte Verwaltungstätigkeit der Reichsbeamten leiten.
	        
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