274 IV. Präsidium. Art. 11.
des preußischen Landtags erwählen und die Regierung des Deutschen Reichs
— soweit sie dem Kaiser obliegt — provisorisch durch das preußische
Staatsministerium führen zu lassen. Von v. Seydel S. 155 und Laband!
S. 200 wird mit Recht eingewendet, daß der preußische Landtag und das
preußische Staatsministerium an sich nur über die Einrichtung der Regent-
schaft in Preußen beschließen, daß es aber ein aus der Reichsverfassung
sich ergebender Rechtssatz ist, daß derjenige, der die Rechte der Krone Preußen
ausübt, identisch sein muß mit demjenigen, der die Rechte des deutschen
Kaisers verwaltet.
Von der Regentschaft ist der Fall der einfachen Stellvertretung zu
unterscheiden. Über fie enthält die preuß. Verfassungsurkunde keine Vor-
schrift. Sie ist namentlich für Fälle einer vorübergehenden Behinderung
des Königs an der Regierung bestimmt, tritt aber nur auf Befehl des
Königs ein und der König bestimmt, ohne durch Vorschriften der preuß.
Verfassungsurkunde oder der Reichsverfassung eingeschränkt zu sein, allein
die Person seines Vertreters, den Inhalt, Umfang und die Dauer der Stell-
vertretung, sowohl bezüglich der Rechte, die der Krone über Preußen zu-
stehen, wie derjenigen, die sie im Reiche ausübt. Bei einer uneingeschränkten
Stellvertretung würden aus den für den Fall der Regentschaft angeführten
Gründen die dem Kaiser als solchem zustehenden Rechte einbegriffen sein
— pdgl. Arndt S. 86. Der Fall einer allgemeinen Stellvertretung lag
bereits im Jahre 1878 wegen Erkrankung des Herrschers vor. Durch
den A.E. v. 4. Juni 1878 R. G. Bl. S. 101 wurde dem Kronprinz die
Vertretung in der „oberen Leitung der Regierungsgeschäfte“ üÜbertragen.
Eine Unterscheidung zwischen preußischen Regierungsgeschäften und solchen
des Reichs ist dabei nicht gemacht worden. Doch war dadurch, daß als
Empfänger des Erlasses der Kronprinz „des Deutschen Reichs und von
Preußen“ bezeichnet und dadurch, daß die Vollziehung und Veröffentlichung
des Erlasses durch den „Reichskanzler und Ministerpräsidenten“ angeordnet
war, klar zum Ausdruck gebracht worden, daß sich die Stellvertretung auch
auf die Rechte der preußischen Krone im Reiche bezog.
B. Die durch Art. 11 begründeten Rechte des Kaisers.
I. Die völkerrechtliche Bertretung.
Der Kaiser hat nach Art. 11 das Recht und die Pflicht, das Reich
völkerrechtlich zu vertreten. „Völkerrechtlich" bedeutet dem Ausland gegen-
über im Gegensatz zu der staatsrechtlichen Vertretung, welche die inneren
Beziehungen zu anderen Machtfaktoren des Reichs (Bundesrat, Reichstag)
oder zu den Untertanen umfaßt. Hierdurch ist ausgesprochen, daß im
internationalen Verkehr das Reich als ein geschlossenes Ganze auftritt und
daß insoweit die Souveränetät der Einzelstaaten in der Hauptsache in ihrer
Teilnahme an der Leitung des Reichs aufgegangen ist. Im Verhältnis zum
Auslande, d. h. für den Schriftwechsel des auswärtigen Amts und der diplo-
matischen Vertreter des Reichs mit dem Auslande ist es daher üblich und
sachlich gerechtfertigt, von einer „Kaiserlichen Regierung“ zu sprechen, während
dies in den inneren Beziehungen des Reichs nicht üblich ist; vgl. auch die
Bemerkung des Fürsten Bismarck in der Reichstagssitzung v. 18. März 1881