278 IV. Präsidium. Art. 11.
träge ist der Kaiser frei, bezüglich letzterer ist zu berücksichtigen, daß sie wie
die Gesetzgebung des Inlandes von den ordentlichen Gerichten anzuwenden
find und daß, wenn die Auslegung nicht die Form eines neuen, gültig —
d. h. mit der eventuell erforderlichen Zustimmung des Bundesrats und des
Reichstags — zustande gekommenen Vertrages bez. die Form eines auf
Grund des Vertrages erlassenen neuen Reichsgesetzes annimmt, die Gerichte
an die Auslegung nicht gebunden find.
Der Kaiser hat ferner die Freiheit, überall dort, wo Meinungs-
verschiedenheiten mit dem Auslande bestehen und eine Erledigung durch ein-
fachen Schriftwechsel keine Ausficht auf Erfolg mehr bietet, an Stelle irgend
welcher unfreundlichen Schritte den Weg der schiedsgerichtlichen Erledigung
zu beschreiten, auch dann, wenn die bestehenden Verträge nicht die Schieds-
sprechung zur Bedingung machen, wie es z. B. der Weltpostvereinsvertrag
tut, der die obligatorische Schiedsklausel enthält; auch die meisten neueren
Handelsverträge enthalten wenigstens für gewisse Fragen, namentlich Tarif-
fragen, die obligatorische Schiedsklausel. Gerade aber weil die Schiedsklausel
nach den Grundsätzen der deutschen auswärtigen Politik nicht schon von
Hause aus für alle denkbaren Streitfälle obligatorisch gemacht werden kann,
ist es von Bedeutung festzustellen, daß auch in allen, nicht in den Verträgen
vorgesehenen und schon von vornherein der Schiedssprechung unterworfenen
Streitfällen der Kaiser das Recht, aber natürlich nicht die Pflicht hat, den
Weg der Schiedssprechung zu beschreiten oder abzulehnen, wenn dieser Weg
im einzelnen Falle nicht den Grundsätzen der Reichspolitik entspricht, sei es
daß es sich um die Verletzung politischer Interessen handelt, die überhaupt
nicht nach juristischen Grundsätzen beurteilt werden können, sei es daß die
verletzten Interessen des Reichs so schwerwiegend find, daß sich der Leiter
der auswärtigen Politik die Hand freihalten muß und sich keiner fremden
Entscheidung unterwerfen kann; vgl. das Weißbuch über die Ergebnisse der im
Jahre 1907 in Haag abgehaltenen zweiten internationalen Friedenskonferenz
(Anl. der 12. Leg.-Per. 1. Sess. S. 43 ff. Nr. 527) und die Denkschrift dazu.
Endlich ist zu bemerken, daß das Recht des Kaisers zur völkerrechtlichen
Vertretung des Reichs die Befugnis zu Unterhandlungen jeder Art für das
Reich in sich schließt. Die Beschränkungen, die der 3. Absatz des Art. 11
für die in das Gebiet der Reichsgesetzgebung fallenden Staatsverträge gibt,
bezieht sich nur auf den verpflichtenden Abschluß dieser Verträge, aber nicht
auf die Vorverhandlungen, für die der Kaiser eine unbeschränkte Vollmacht
besitzt. Deshalb besteht für die Reichsverwaltung keine Verpflichtung zur
Auskunft über die Vorverhandlungen und über ihre Absichten in Beziehung
auf Staatsverträge, weder dem Reichstag noch dem Bundesrat gegenüber;
ebenso v. Rönne II2 S. 296. Eine Ausnahme hiervon bezüglich des Bundes-
rats ist auch nicht durch das Schlußprotokoll v. 23. Nov. 1870 zu dem
Bündnisvertrage mit Bayern Ziff. XI B.G.Bl. 1871 S. 25 begründet,
wonach:
„allseitig anerkannt wurde, daß bei dem Abschlusse von Post-- und
Telegraphen-Verträgen mit außerdeutschen Staaten zur Wahrung der be-
sonderen Landesinteressen Vertreter der an die betreffenden außerdeutschen
Staaten angrenzenden Bundesstaaten zugezogen werden sollten“.
Auch hierbei handelt es sich nach dem Wortlaut nur um den Abschlaß,
nicht um die Vorbereitungen zu den Verträgen, ein Umstand, der es natür-