284 IV. Präsidium. Art. 11.
seines Bundesstaats ausschließlich befugt ist; er kann auch von anderen
Bundesstaaten Vollmacht erhalten und ist dann als gemeinschaftlicher Ge-
sandter mehrerer Bundesstaaten anzusehen. Zu den besonderen Angelegen-
heiten eines Bundesstaates rechnet Laband III S. 4 — mit Recht — die
Beziehungen des Landesherrn und seiner Familie zu den Mitgliedern des
auswärtigen souveränen Hauses, ferner diejenigen Staatsangelegenheiten,
die nicht zur Reichskompetenz gehören, z. B. die Förderung von Kunst und
Wissenschaft, Kirchen= und Schulangelegenheiten, Auslieferungsverträge und
endlich die Privatangelegenheiten der Angehörigen des Einzelstaates. Sache
des Reichsgesandten ist die Vertretung aller anderen Angelegenheiten, also
nicht nur der Reichsangelegenheiten, sondern auch der besonderen Angelegen-
heiten der anderen, durch einen eigenen Landesgesandten nicht vertretenen
Bundesstaaten. Zu den Reichsangelegenheiten gehören alle Fragen der
auswärtigen Politik des Reichs, die Krieg und Frieden und das allgemeine
politische Verhältnis zum Ausland betreffen, weil nach Art. 11 die völker-
rechtliche Vertretung des Reichs lediglich dem Kaiser obliegt, ferner die
internationalen Handels= und Schiffahrtsverträge, das Auswanderungswesen,
die Zollpolitik, das Post= und Telegraphenwesen, Niederlassungs= und
Gewerbefragen, Patentsachen und der Schutz des sogen. geistigen Eigentums
und alle anderen durch die Gesetzgebung des Reichs geregelten Angelegen-
heiten. In denselben Grenzen können die Regierungen der Einzelstaaten
mit den bei ihnen beglaubigten Gesandten des Auslands verhandeln, also
nur über die besonderen Angelegenheiten ihres Staats; vgl. Laband III S. 6.
Für Preußen ist es aus tatsächlichen Gründen kaum denkbar, daß
neben den Reichsgesandten eigene Landesgesandte beglaubigt werden, weil
der König von Preußen als Deutscher Kaiser der oberste Chef der aus-
wärtigen Politik ebensowohl des Reichs wie der etwaigen besonderen aus-
ländischen politischen Angelegenheiten Preußens ist. Für den preußischen
Gesandten gibt es unter diesen Umständen neben dem Reichsgesandten keinen
selbständigen Wirkungskreis. Preußen hat deshalb Gesandte nur noch an
den deutschen Fürstenhöfen und bei dem Papst. Bei dem Vatikan aber
ist kein Reichsgesandter beglaubigt und nur durch diesen Umstand wird ein
eigenes Tätigkeitsgebiet für den preußischen Gesandten möglich. Hierzu
hat Fürst Bismarck in der Reichstagssitzung v. 30. Nov. 1881 St.B. 102f.
ausgeführt, daß die konfessionellen Fragen nicht zur Zuständigkeit des Reichs
gehören und daß er deshalb in Ansehung des Vatikans nach dem Vorgang
Bayerns die Vertretung durch einen preußischen Gesandten für angezeigt
halte, daß aber mit Rücksicht darauf, daß die wahrzunehmenden Interessen
den meisten Einzelstaaten gemeinsam seien, auch eine Vertretung des Reichs
nicht ausgeschlossen sei.
Zu der im preußischen Abgeordnetenhause aufgeworfenen Prage, ob
für Preußen ein Bedürfnis bestehe, Gesandte an die Souveräne der anderen
Bundesstaaten zu entsenden, hat Fürst Bismarck in der Sitzung v. 9. Dez.
1867 St. B. 293f. Ausführungen gemacht, aus denen hervorgeht, daß Fürst
Bismarck das Bedürfnis für dauernd begründet hält, und zwar aus den-
selben Gründen, die für den diplomatischen Verkehr mit ausländischen Höfen
sprechen, weil auch hier es sich darum handelt auf die Willensentschlüsse
unabhängiger Machtfaktoren einzuwirken und weil dabei von dem schrift-
lichen Verkehr nicht dieselbe Wirkung erwartet werden kann wie von dem