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Initiative zu einer Reform ergriffen hat, die dazu bestimmt ist, zwischen
den vorhandenen politischen Gegensätzen eine mittlere Linie einzuschlagen.
Eine weitere, der neueren Zeit angehörende Bestätigung für die hier
vertretene Ansicht kann aus der Haltung des Bundesrats in Angelegenheiten
der Ansprüche des Hauses Cumberland auf die Thronfolge für Braunschweig
entnommen werden. Der braunschweigische Regentschaftsrat — im Ein-
verständnis mit der Volksvertretung Braunschweigs — hatte auf Grund der
Erwägung, daß das Herzogtum als Glied des Deutschen Reichs die aus
dieser Zugehörtgkeit zum Reich erwachsenen Pflichten dem Deutschen Reich
selbst und den übrigen Bundesstaaten gegenüber zu erfüllen habe, in der
Thronfolgefrage den Bundesrat angerufen, damit sein Beschluß „dem Staate
Braunschweig in Gestaltung der Regierungsverhältnisse, soweit dabei die aus
den Grundprinzipien der Bündnisverträge und der Reichsverfassung ab-
zuleitenden Interessen des Reichs und des Bundesstaats Preußen in Betracht
kommen, zur Richtschnur diene“. Der Bundesrat, von dem schon unter
dem 2. Juli 1885 Stellung zu der Thronfolgefrage genommen worden
war, hat darauf am 28. Febr. 1907 beschlossen, die Überzeugung der Ver-
bündeten Regierungen dahin auszusprechen: Solange der Herzog von
Cumberland oder ein Mitglied seines Hauses Ansprüche auf Gebietsteile
des Bundesstaats Preußen erhebe, sich also zu dem Bundesstaat Preußen
in einem Verhältnis befinde, das mit dem für die Bundesmitglieder reichs-
verfassungsmäßig gewährleisteten Frieden im Widerspruch stehe, sei die
Regierung irgend eines Mitgliedes des Herzoglichen Hauses Braunschweig-
Lüneburg in Braunschweig mit den Grundprinzipien der Bündnisverträge
und der Reichsverfassung nicht vereinbar, selbst wenn dieses Mitglied für
sich und seine Deszendenz allen Ansprüchen auf das frühere Königreich
Hannover entsage. Die Annahme der Zuständigkeit des Bundesrats in
dieser Frage und seine Berufung auf die reichsverfassungsmäßige Gewähr-
leistung der Besitzergreifung Hannovers durch Preußen kann nicht anders auf-
gefaßt werden, als daß der Bundesrat im Eingang der Reichsverfassung eine
Garantie erblickt für die Rechtsgültigkeit des staats= und verfassungsrecht-
lichen Zustandes, mit dem Preußen in den Norddeutschen Bund, bez. in
das Deutsche Reich eingetreten ist. Dieser staats= und verfassungsrechtliche
Zustand begreift in der Tat die Einverleibung des i. J. 1866 von Preußen
gewonnenen Landzuwachses in sich. Eine andere Bestimmung als der
Eingang, auf die der Bundesrat seine materielle Kompetenz zur Regelung
der Frage stützen könnte, kommt kaum in Betracht, insbesondere nicht
Art. 76; denn daß der fragliche Thronfolgestreit kein Verfassungsstreit ist,
wird keiner weiteren Ausführung bedürfen und ein Streit „zwischen zwei
Bundesstaaten“ könnte er nur unter besonderen Voraussetzungen sein —
vgl. Art. 76 IV. Die Braunschweigische Regierung hatte von vornherein
die Zuständigkeit des Bundesrats anerkannt. Ihr an den Bundesrat
gerichteter Antrag enthielt die Frage, ob unter gewissen Voraussetzungen
die Thronfolge des Kronprätendenten „mit den Grundprinzipien der Bündnis-
verträge und der Reichsverfassung vereinbar sein würde“ — dgl. die Er-
klärung des Braunschweigischen Bundesratsbevollmächtigten Boden in der
Reichstagsfitzung v. 13. Mai 1907 St. B. 1627. Hieraus sowie aus dem
mit dieser Fassung im Einklang stehenden Bundesratsbeschlusse v. 28. Febr.
1907 und noch bestimmter aus der Erklärung, die zu diesem Beschlusse