IV. Präsidium. Art. 11. 293
fugnisse des Bundesrats und Reichstags zu beeinträchtigen in der Lage
wäre. Ausgehend von diesen beiden Voraussetzungen herrscht in der Literatur
die Ansicht, daß Art. 11 Abs. 3 nicht nach seinem Wortlaut ausgelegt werden
könne, weil er nicht diejenigen Gebiete der Reichsgesetzgebung treffe, die
außerhalb des Art. 4 durch die Reichsgesetzgebung geregelt seien, andererseits
Materien umfasse, die zwar im Art. 4 genannt seien, aber kraft besonderer
Bestimmungen im Wege der Verordnung geregelt werden könnten — so
u. a. Laband II S. 61f. 126 f., v. Rönne II 2 S. 295, Meyer 8 190 A. 14
S. 704, Zorn 1 S. 238, Arndt S. 711f., Anschütz Enchklopädie S. 618,
Jellinek Gesetz und Verordnung S. 359. Dieser Standpunkt ist nicht zu
widerlegen, obgleich es sehr schwer ist, dergestalt den klaren Wortlaut der
Reichsverfafsung außer Acht zu lassen. Man muß die Bestimmung des
Art. 11 Abs. 3 für alle, aber auch nur für Fälle anwenden, in denen das
geltende Recht für den formellen Weg der Gesetzgebung die Mitwirkung
des Bundesrats und Reichstags verlangt.
Nach Art. 11 Abs. 3 ist die Mitwirkung des Bundesrats und Reichs-
tags zum Abschluß von Staatsverträgen nur „insoweit“ erforderlich, als
die Verträge sich auf die im Art. 4 bezeichneten Materien beziehen. Dar-
aus ergibt sich, daß — soweit eine Sonderung der einzelnen Vertrags-
bestimmungen möglich ist — derjenige Teil der Verträge, der nicht in die
vorbezeichneten Kategorie fällt, der Zustimmung des Bundesrats und der
Genehmigung des Reichstags nicht bedarf. Die Reichsverwaltung hat dies
einige Male dadurch zu praktischer Bedeutung gebracht, daß sie aus um-
fangreichen Staatsverträgen denjenigen Teil herauszog, der einer Genehmigung
der gesetzgebenden Körperschaften bedurfte, daraus ein Reichsgesetz machte
und dann den übrigen Teil dem Reichstag nicht vorlegte. So ist es z. B.
mit der Generalakte der Internationalen Konferenz von Algeciras v. 7. April
1906 R. G. Bl. S. 891 geschehen. Nicht die Generalakte wurde dem Reichs-
tag vorgelegt, sondern nur das Gesetz zur Ausführung der Generalakte
v. 21. Dez. 1906 R.G. Bl. S. 889, das nur diejenigen Bestimmungen der
Generalakte enthält, bezüglich deren nach Art. 11 Abs. 8 R.V. die Geneh-
migung des Reichstags notwendig ist. Als der Präfident des Reichstags
in der Reichstagssitzung v. 7. Dez. 1906 St. B. 4241 auch die Bestimmungen
der Generalakte, die dem Gesetzentwurf als Anlage beigefügt war, aufrief
und ihre Genehmigung feststellte, widersprach der Staatssekretär des Innern
Graf Posadowsky-Wehner diesem Verfahren, berief sich auf den Wortlaut
des Art. 11 Abs. 3 und fuhr fort:
„Demgemäß (nämlich gemäß Art. 11 Abs. 8) ist bisher stets so ver-
fahren, daß aus derartigen internationalen Verträgen nur diejenigen
Bestimmungen dem Reichstage zur Genehmigung behufs ihrer Gültigkeit
vorgelegt find, die nach Art. 4 R.V. zur Kompetenz des Reichstags ge-
hören. Es kann auch nicht entgegengehalten werden, daß die Generalakte
einzelne Bestimmungen enthält, die eine Abänderung unseres Handels-
vertrages mit Marokko darstellen und daß eine solche Anderung auch nur
in Form eines Vertrages geschehen könne. In dieser Beziehung haben
die gesetzgebenden Körperschaften bereits früher in gleichem Sinne wie
jetzt gehandelt, und zwar bei der Beschlußfassung über das Gesetz v. 6. Juli
1890 betr. die Konsulargerichtsbarkeit in Samoa (R.G. Bl. S. 139), über
das Gesetz v. 15. Febr. 1900 betr. die Freundschaftsverträge mit Tonga