Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

IV. Präsidium. Art. 11. 299 
Der Reichstag wurde alsbald berufen, um die Genehmigung nachträglich 
und außerdem dem Reichskanzler Indemnität zu erteilen. In der Reichs- 
tagssthung v. 29. Aug. 1883 St. B. 1 erklärte der Staatssekretär des Innern 
v. Bötticher: 
„Die Verbündeten Regierungen haben sich dabei zu der Auffassung 
geeinigt, daß auf Grund diplomatischer Verständigung zwischen den beiden 
Vertragsmächten eine vorläufige Inkraftsetzung der vereinbarten Zoll-= 
ermäßigungen unter Vorbehalt der für die definitive Gültigkeit des Ver- 
trages erforderlichen Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags zu 
geschehen und daß für die darin liegende Abweichung von den Bestimmungen 
der Verfassung die Indemnität bei den gesetzgebenden Körpern demnächst 
nachzusuchen sei."“ 
Die Indemnität wurde durch das Reichsgesetz v. 10. Sept. 1883 R.G. Bl. 
S. 303 erteilt. Ferner wurde der am 30. Dez. 1893 mit Spanien ab- 
geschlossene Handelsvertrag, der am 1. Jan. 1894 provisorisch in Kraft 
gesetzt wurde, nachträglich vom Bundesrat und Reichstag genehmigt und 
dem Reichskanzler „für die provisorische Inkraftsetzung Indemnität gewährt". 
Bekanntmachung v. 19. Jan. 1894 R.G.Bl. S. 109. Wie Laband II S. 137 
A. 1 zutreffend hervorhebt, ist es hierbei charakteristisch und liegt im Sinne 
der auch von Laband vertretenen Auffassung, daß die Indemnität für die 
„Inkraftsetzung“, nicht auch für den Abschluß des Vertrages gefordert wird 
— mit Recht, denn darin daß der Abschluß des Vertrages vor der Ge- 
nehmigung des Reichstags erfolgt, liegt kein Widerspruch gegen die Ver- 
faffung. 
Der Reichstag darf die ihm vorgelegten Staatsverträge nicht abändern; 
er ist nur berechtigt, sie im ganzen anzunehmen oder abzulehnen, er darf 
zu ihnen nur ein unbedingtes Ja oder ein unbedingtes Nein aussprechen. 
Anderer Ansicht ist Laband II S. 147. Nach seiner Ausführung soll für 
den Reichstag das Recht der Amendierung zwar de kacto beschränkt, aber 
de iure nicht ausgeschlossen sein. Laband erkennt an, daß der Inhalt und 
Wortlaut des Vertrages nicht unter den Organen des Reichs, sondern 
zwischen den Bevollmächtigten des Reichs und des fremden Staates ver- 
einbart und festgestellt werde, ist aber gleichwohl der Ansicht, der Reichstag 
könne die Genehmigung des Vertrags an die Bedingung knüpfen, daß der 
Vertrag gewisse Abänderungen und Zusätze erhalte, und die Zulässigkeit 
einer solchen Beschlußfassung könne um so weniger bezweifelt werden, als 
dem Reichstag regelmäßig nicht der definitiv geschlossene Vertrag, sondern 
der Vertragsentwurf zur Genehmigung vorgelegt werde. Diesen Ausführungen 
kann nicht zugestimmt werden. Gegenüber Verträgen ist die Stellung des 
Reichstags eine andere wie bei der Reichsgesetzgebung. Für Reichsgesetze 
find übereinstimmende Mehrheitsbeschlüsse des Bundesrats und Reichstags 
erforderlich und ausreichend. Aus diesem dem Worlaut des Art. 5 R.V. 
entsprechenden Satze ergibt sich, daß der Reichstag grundsätzlich dem Ent- 
wurf eines Reichsgesetzes gegenüber die gleichen Befugnisse hat wie der 
Bundesrat und daß der vom Kaiser abhängigen Reichsverwaltung hier eine 
entscheidende Stimme überhaupt nicht zusteht. Gegenüber Gesetzentwürfen 
ist also der Reichstag zur Abänderung nach jeder Richtung ebenso befugt 
wie der Bundesrat. Staatsverträge aber werden nach Art. 11 R.V. dem 
Reichstage nur zur Genehmigung vorgelegt, und nach einem allgemeinen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.