302 IV. Präsidium. Art. 11.
IV. Die Ratifikation der Staatsverträge.
Die Ratifikation ist der formelle Abschluß des Staatsvertrages. Sie
stellt eine an die Regierung des betreffenden Auslandsstaates gerichtete
empfangsbedürftige Willenserklärung dar. Unstreitig fällt die Ratifikation
der für das Reich geschlossenen Staatsverträge in das Gebiet der völker-
rechtlichen Vertretung des Reichs, ist also eine ausschließliche Befugnis des
Kaisers; vgl. u. a. Laband II S. 141, v. Rönne II2 S. 302, Zorn 1 S. 506f.
Die Ratifikation erfolgt durch Uübergabe der von dem Kaiser unterzeichneten
Vertragsausfertigung an den fremden Souverän oder dessen Bevollmächtigten
gegen Empfang der von dem auswärtigen Souverän unterzeichneten Vertrags-
ausfertigung. Der Kaiser kann seine Funktion bei der Ratifikation ein-
schließlich der Unterzeichnung der Vertragsausfertigung durch Bevollmächtigte
ausüben. Wie unter III 2 ausgeführt, ist es streitig, ob der Kaiser
ohne die Mitwirkung des Bundesrats und Reichstags — in den durch
Art. 11 Abs. 3 bezeichneten Fällen — überhaupt dem Auslande gegenüber
keine Verpflichtung eingehen kann, oder ob es sich dabei nur um eine innere
konstitutionelle, das Verhältnis zum Auslande nicht berührende Beschränkung
handelt. v. Rönne II2 S. 307 und Zorn! S. 507 ff., von denen die Frage
im Sinne der ersteren Alternative beantwortet wird, nehmen in Konsequenz
dieser Anschauung an, daß die Ratifikation, um gültig zu sein, die vor-
geschriebene Mitwirkung des Bundesrats und Reichstags voraussetzt. Der
entgegengesetzte, unter III 2 S. 297 f. vertretene Standpunkt führt zu dem
Schluß, daß die Reichsverwaltung zwar nicht in der Lage ist, den Vertrag
ohne die Mitwirkung des Bundesrats und des Reichstags in Kraft zu setzen,
daß aber die Legitimation nach außen durch den Mangel der Mitwirkung
dieser Körperschaften nicht beeinträchtigt wird, und die Reichsverwaltung
handelt deshalb nicht verfassungswidrig, wenn sie erst nach der formellen
Ratifikation des Vertrages die Genehmigung des Bundesrats und Reichs-
tags einholt; dagegen bedarf die Reichsverwaltung der Indemnität, wenn
sie den Staatsvertrag vorher in Kraft setzt. Die Reichsverwaltung kann
auch, wie es ausnahmsweise geschehen ist, die formelle Ratifikation bis nach
der Inkraftsetzung des Vertrages aufschieben; vgl. die von Laband II S. 141
A. 2 angeführten Beispiele R.G.Bl. 1881 S. 33 Art. 12; 1881 S. 114
Art. 18 und 1883 S. 304.
V. Die Verkündung der Staatsverträge.
Staatsverträge als solche bedürfen nicht der Verkündung. Das Reich
kann sich auch durch geheime Staatsverträge, z. B. Kriegs= und Friedens-
bündnisse, gültig verpflichten. Die Verkündung wird erst notwendig, wenn
der Staatsvertrag Bestimmungen enthält, durch welche die Untertanen ver-
pflichtet werden sollen. Hier liegt das Erfordernis der Verkündung in der Natur
der Sache, da dann die Verträge nicht nur das Reich selbst, sondern auch
die Untertanen binden und dieser Zweck ohne Bekanntmachung des Inhalts
der Verträge nicht erreicht werden kann. Dies ist allgemein anerkannt; vgl.
Laband II S. 151 ff., Meyer § 100 O. 705. Das preuß. Ober-Verwaltungs-
gericht (Entsch, v. 21. April 1899 Bd. 32 S. 418) hat hieraus den Schluß
gezogen, daß Personen, die nach Maßgabe des Reichsgesetzes v. 1. Juni 1870