IV. Präsidium. Art. 12. 309
Die Vertagung bedeutet die Unterbrechung der Tätigkeit für kurze
Zeit; sie unterbricht nicht die Kontinuität der Beratungen, sodaß nach Ab-
lauf der Vertagungsfrist die Verhandlungen an derselben Stelle fortgesetzt
werden können, bei der sie vor der Vertagung angelangt waren. ·
Die Schließung bedeutet die Unterbrechung für längere, unbestimmte
Zeit. Sie hat für den Bundesrat und Reichstag zur Folge, daß die
Körperschaft, deren Beratungen geschlossen sind, von neuem berufen und
eröffnet werden muß, und sie unterbricht für den Reichstag die Kontinuität
der Beratungen.
Die Berufung, Eröffnung, Vertagung und Schließung ist ein Recht,
das der Kaiser in seiner Eigenschaft als solcher und nicht als König von
Preußen ausübt. Dieses staatsrechtliche Verhältnis kommt dadurch zum
Ausdruck, daß die entsprechenden Kaiserlichen Verordnungen im Namen
des Reichs erlassen werden, nicht jedoch im Namen der Verbündeten Re-
gierungen, wie v. Seydel S. 168 annimmt — zu pdgl. aus neuerer Zeit
R. G. Bl. 1903 S. 289; 1905 S. 763; 1907 S. 25; 1909 S. 941.
II. Die Berufung.
Für den Bundesrat ist die Berufung außer UÜbung gekommen und
hat seit 1883 nicht mehr stattgefunden, sodaß seit diesem Zeitpunkt der
Bundesrat tatsächlich permanent ist; vgl. v. Jagemann S. 88, v. Seydel
S. 168. Dies ist darauf zurückzuführen, daß bei der Entwicklung, die das
Reich genommen hat, die Geschäftslage des Bundesrats derart geworden ist,
daß die Unterbrechungen der Sitzungen nur noch den Charakter von Ferien
haben. Der Umstand, daß die außerpreußischen Bundesstaaten Gesandt-
schaften am preußischen Hofe halten und daß die Gesandten zugleich die
Eigenschaft von Bundesratsbevollmächtigten haben, führt außerdem dazu,
daß mindestens ein Teil der Bevollmächtigten dauernd seinen Wohnsitz am
Sitz des Bundesrats hat; vgl. Zorn 1 S. 159. Gegenüber dieser tatsächlichen
Entwicklung ist aber festzuhalten, daß von Rechtswegen der Bundesrat sich
ebensowenig wie der Reichstag aus eigener Initiative, sondern nur auf An-
ordnung des Kaisers versammeln kann. Er tritt nach den Bestimmungen
der Verfassung nur periodisch zusammen und ist also keine ständige Körper-
schaft, wie es im alten Deutschen Bunde der Bundestag in Frankfurt a. M.
war und wie es dem Begriff eines Reichsministeriums entsprechen würde,
mit dem der Bundesrat aber auch schon aus anderen, noch mehr ins
Gewicht fallenden Gründen nicht zu vergleichen ist; vgl. Art. 6 12 S. 193f.
und Laband 1 S. 253.
Bezüglich des Reichstags dagegen ist die Berufung von praktischer
Bedeutung. Der Reichstag darf sich nicht von selbst versammeln. Treten
die Mitglieder des Reichstags ohne kaiserliche Berufung zusammen, so bilden
sie eine Vereinigung von Privatpersonen, die gültige Reichstagsbeschlüsse
nicht fassen kann und auf welche die Vorschriften des allgemeinen Rechts,
insbesondere des Vereins= und Versammlungsrechts unter Ausschluß des
Schutzes der Immunität Anwendung finden. Nach Art. 13 muß die Be-
rufung des Reichstags alljährlich stattfinden. Offenbar ist dies mit Rück-
sicht auf den nach Art. 69 alljährlich festzustellenden Etat vorgeschrieben.