Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

IV. Präsidium. Art. 13. 313 
gestattet, die Session vor der vollständigen Erledigung zu schließen; dann 
kann die nochmalige Vorlegung des Entwurfs einfach unterlassen werden. 
Will die Reichsverwaltung dagegen dem Reichstage nach dem Wiederbeginn 
seiner Tätigkeit dasselbe Material vorlegen, so kann für sie, wenn sie die 
Schließung der Zeit und Arbeit ersparenden Vertagung vorzieht, der Wunsch 
maßgebend sein, dem Reichstag Gelegenheit zu geben, zu bereits von ihm 
in Angriff genommenen Vorlagen nochmals Stellung zu nehmen, die sich 
vielleicht auf Grund neuen Materials, veränderter Umstände, neuer Beweis- 
gründe der Vertreter der Verbündeten Regierungen ändern kann. 
Die Reichstagskommissionen dürfen — im Gegensatz zu der Vertagung — 
nach der Schließung ihre Tätigkeit nicht fortsetzen. Das einzige Mal, als 
hiervon eine Ausnahme gemacht wurde, ist dies durch ein besonderes Reichs- 
gesetz geschehen. Das Gesetz v. 23. Dez. 1874 R. G. Bl. S. 194 betr. die 
geschäftliche Behandlung der Entwürfe der Reichsjustitzgesetze hat bestimmt, 
daß die zur Vorberatung dieser Gesetzentwürfe eingesetzte Kommission des 
Reichstags ermächtigt sein solle, ihre Verhandlungen nach dem Schlusse der 
Reichstagssession von 1874 bis zum Beginne der nächsten ordentlichen Ses- 
sion des Reichstags fortzusetzen, und daß der Reichstag in einer der folgen- 
den Sessionen der Legislaturperiode in die weitere Beratung der Gesetz- 
entwürfe einzutreten habe. Diese Regelung wurde durch das Reichsgesetz v. 
1. Febr. 1876 R.G.Bl. S. 15 prolongiert, und durch das Gesetz v. 20. Febr. 
1876 R.G. Bl. S. 23 eine entsprechende Bestimmung für die Behandlung 
des Entwurfs der Konkursordnung gegeben. In späteren Fällen hat man 
sich bei der Beratung umfangreicher Gesetzentwürfe dadurch geholfen, daß 
man den Reichstag vertagte und die zur Vorberatung dieser Gesetzentwürfe 
eingesetzten Kommissionen fortarbeiten ließ, so z. B. bei der großen Reform 
der Gewerbeordnung, den Arbeiter-Versicherungsgesetzen, dem Bürgerlichen 
Gesetzbuch und dem Zolltarifgesetz von 1902; das auf letzteren Fall bezüg- 
liche Reichsgesetz betr. die geschäftliche Behandlung des Entwurfs eines 
Zolltarifgesetzes v. 20. Juni 1902 R.G.Bl. S. 235 war nicht notwendig, 
um der Kommission ihre Tätigkeit zu gestatten, sondern nur um für die 
Mitglieder der Kommission den Bezug einer Entschädigung zuzulassen; val. 
die Ausführungen des Staatssekretärs des Innern Graf Posadowsky-Wehner 
in der Reichstagsfitzung v. 28. April 1902 St. B. 5117 A. 
Dagegen bedeutet die Schließung und die dadurch hervorgerufene Dis- 
kontinuität nicht etwa, daß auch die vom Reichstag vollständig erledigten 
Vorlagen, d. h. seine gültigen Beschlüsse dadurch hinfällig wurden. Viel- 
mehr kann der Bundesrat Beschlüsse des Reichstags auch nach Schluß der 
Session und selbst nach Schluß der Legislaturperiode der Verabschiedung 
von Gesetzen zugrunde legen; vgl. Art. 5 A 3f S. 176 f. 
Artikel 13. 
Die Berufung des Bundesrates und des Reichstages findet alljährlich 
statt und kann der Bundesrat zur Vorbereitung der Arbeiten ohne den 
Reichstag, letzterer aber nicht ohne den Bundesrat berufen werden. 
Die Bestimmung des Art. 13, daß der Bundesrat und der Reichstag 
alljährlich berufen werden müssen, steht im Zusammenhange mit Art. 69,
	        
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