Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

318 IV. Präsidium. Art. 15. 
andere Mitglied“ auf die Zugehörigkeit des Reichskanzlers zum Bundes- 
rat hin. Aber die Verbindung des Reichskanzleramts mit der Führung 
der preußischen Stimme ist, wie Fürst Bismarck mit Recht erklärt hat. 
wenn auch im allgemeinen opportun, so doch nicht notwendig. Es sei 
übrigens noch erwähnt, daß ein anerkannter Führer des Zentrums der 
Abg. Windthorst in der Reichstagssitzung v. 5. Dez. 1870 St.B. 80 mit 
Bezug auf den Reichskanzler äußerte: „Der ist gar kein Preuße, der ist 
eben Bundeskanzler.“ Der Reichskanzler ist freilich im Bundesrat auch 
„Preuße“, aber er ist es nur nebenbei, und indem er gleichzeitig die Ge- 
schäfte des Reichskanzlers und eines preußischen Bevollmächtigten verfieht, 
hat er im Bundesrat eine Doppelstellung, deren beiderseitige Funktionen 
scharf zu unterscheiden sind. Darauf wies Fürst Bismarck in einer Erklärung 
hin, die er in der Reichstagssitzung v. 26. März 1884 St. B. 224 abgab: 
„Ich kann Anträge im Bundesrat nur auf Veranlassung S. M. des 
Kaisers, resp. Königs von Preußen stellen, je nachdem fie geschäftsleitende 
Anträge des Reichskanzlers oder gewöhnliche Anträge find, die jedes Mit- 
glied stellen könnte.“ 
Hierbei ist zu beachten, daß ein Stimmrecht der Reichskanzler natür- 
lich nur soweit hat, als er in Vertretung der preußischen Regierung als 
deren stimmführender Bevollmächtigter tätig ist. Denn die sogen. Präfidial- 
stimme ist nichts anderes als die preußische Stimme; eine Präfidialstimme 
neben der preußischen gibt es nicht; vgl. Hänel, Studien II S. 24ff. Der 
Geschäftskreis, den der Reichskanzler als solcher im Bundesrat hat, erschöpft 
sich einmal in den Anordnungen geschäftsleitender Art, für die er als Vor- 
sitzender kompetent ist, und vor allem in der Geltendmachung seines poli- 
tischen Einflusses im Sinne eines Aussgleichs der partikularistischen Interessen 
mit der Tendenz, eine Verständigung unter den Einzelstaaten herbeizuführen 
ünd die Interessen des Reichs wahrzunehmen. Diese Wirksamkeit entzieht 
sich naturgemäß der Abstimmung. Soweit der Reichskanzler förmliche An- 
träge stellt, also Dinge zur Sprache bringt, über die abgestimmt wird, ist 
er stets als Vertreter der preußischen Regierung tätig. Eine Divergenz mit 
Preußen, d. h. mit den anderen preußischen Bevollmächtigten und der für 
die Instruktion der preußischen Bevollmächtigten maßgebenden und verant- 
wortlichen preußischen Staatsregierung ist dann begrifflich ausgeschlossen; 
es müssen mindestens etwaige Meinungsverschiedenheiten hierüber als ein 
preußisches Internum außerhalb des Bundesrats ausgetragen werden und 
in dieser staatsrechtlichen Konstruktion der Verhältnisse liegt allerdings ein 
starkes Moment, um nicht zu sagen eine politische Notwendigkeit dafür, daß 
der Reichskanzler in der preußischen Staatsregierung entscheidenden Einfluß 
hat; vgl. Laband 1 S. 218 A. 1. 
2. Die Ernennung des Reichskanzlers durch den Kaiser. 
Nach Art. 15 ist es der Kaiser, nicht der König von Preußen, der 
den Reichskanzler zu ernennen hat. Dies deutet, wie zu 1 hervorgehoben, 
auf eine von Preußen losgelöste Stellung des Reichskanzlers im Bundes- 
rate hin. Im Art. 15 ist der Wirkungskreis gekennzeichnet, den der Reichs- 
kanzler im eigenen Namen ausübt, im Art. 17 derjenige, den er als kontra- 
signierender Minister des Kaisers besitzt; Art. 17 setzt also voraus, daß der 
Kaiser seine Zustimmung zu dem betreffenden Akt auch nach außen in ver-
	        
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