IV. Präsidium. Art. 17. 331
des Art. 17, daß die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers im Namen
des Reichs erlassen werden, ist ebenfalls von mehr formaler als praktischer Be-
deutung. Die Vorschrift weist auf die selbstverständliche Tatsache einer pari-
tätischen Handhabung des Auffichtsrechts hin, die von allen partikularistischen
Interessen, einschließlich denen Preußens, losgelöst ist. Das Hauptgewicht des
Art. 17 liegt in dem letzten Satze, wonach der Reichskanzler die kaiserlichen
Erlasse gegenzuzeichnen hat und dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.
Damit ist das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit in die Reichsverfassung
eingeführt. Der von den Verbündeten Regierungen vorgelegte Entwurf der
Reichsverfassung enthielt diesen Grundsatz noch nicht. Bei den Verbündeten
Regierungen bestand, wie aus den Verhandlungen des konst. Reichstags her-
vorgeht, die Absicht, die dem Präsidium des Bundes — jetzt dem Kaiser
— obliegenden Verwaltungsbefugnisse, die als sehr umfangreich damals noch
nicht angesehen werden konnten, von den preußischen Ministerien aus wahr-
nehmen zu lassen. Die jetzige Fassung des Art. 17 beruht auf Anträgen
der Abg. Twesten und v. Bennigsen (Nr. 18 der Anl. von 1867 und St. B.
S. 403). Es entstand hierüber im konst. Reichstage (Sitzungen v. 28. und
26. März 1867 St. B. 327 ff.) eine lebhafte Debatte. Der Abg. v. Sybel
— der bekannte Historiker — verneinte den Grundsatz der Ministerverant-
wortlichkeit für das Reich. Seine Ausführungen gipfeln in den beiden
Sätzen:
1. Eine juristische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers für Maßregeln
der Gesetzgebung kann nicht festgesetzt werden, weil der Reichskanzler
auf die Gesetzgebung keinen bestimmenden Einfluß hat.
2. Mit Rücksicht darauf, daß dem Reichskanzler der entscheidende Ein-
fluß auf die Gesetzgebung fehlt, kann er auch für Maßregeln der
Exekutive nicht juristisch verantwortlich gemacht werden, weil er in
der Exekutive nicht frei, sondern an die Gesetzgebung gebunden ist.
Der erste Satz ist unzweifelhaft richtig, der zweite nicht. Niemand
kann für Dinge verantwortlich gemacht werden, die er nicht allein ent-
scheiden kann. Deshalb ist die Verantwortung des Reichskanzlers für die
Gesetzgebung ausgeschlossen, die durch übereinstimmende Mehrheitsbeschlüsse
des Bundesrats und Reichstags zustande kommt, während der Reichskanzler
an den Beschlüssen des Reichstags gar nicht und an denen des Bundes-
rats nur insofern beteiligt ist, als er — nicht in seiner Eigenschaft als
Reichskanzler, sondern als Vertreter Preußens — die 17 preußischen Stimmen
führt, mit denen er in der Minorität bleiben kann. Dagegen ist der zweite
Satz, daß durch den Mangel an Verantwortung für die Gesetzgebung auch
die Verantwortung für Maßregeln der Verwaltung ausgeschlossen werde,
nicht als richtig anzuerkennen. Allerdings ist der Reichskanzler bei der
Leitung der Verwaltung an die von seinem Willen unabhängigen Bestim-
mungen der Gesetzgebung gebunden, aber eine Verantwortung dafür, daß
die Maßregeln der Verwaltung den Bestimmungen der Gesetzgebung nicht
zuwiderlaufen, ist sehr wohl denkbar, und da der oberste Chef der Exekutive,
der Kaiser, unverletzlich und deshalb unverantwortlich ist, konnte die Ver-
antwortlichkeit des Reichskanzlers von der Reichsverfassung mit Recht aus-
gesprochen werden. Insoweit es sich um eigene Anordnungen des Reichs-
kanzlers handelt, ergibt sich diese Verantwortlichkeit schon aus den allgemeinen
Vorschriften des Straf= und Bürgerlichen Rechts. Insoweit der Reichs-