332 IV. Präsidium. Art. 17.
kanzler dagegen Willensentschlüsse zu vertreten hat, die nicht seine eigenen
zu sein brauchen, bedurfte es einer pofitiven Bestimmung, welche die Reichs-
verfassung im Art. 17 durch die Vorschrift gegeben hat, daß der Reichskanzler
durch die Gegenzeichnung kaiserlicher Erlasse die Verantwortung für diese
Erlasse übernimmt. Daß die Bestimmung des Art. 17 erforderlich war, um
der staatsrechtlichen Notwendigkeit der Deckung der Krone gegen jede Art
und Form der Verantwortung zu genügen, haben im konst. Reichstage ins-
besondere die Abg. Planck und v. Wächter in der Sitzung v. 26. März 1867
St. B. 359 bez. 361 hervorgehoben.
II. Die staatsrechtliche Stellung des Reichskanzlers.
Der Reichskanzler ist der erste Beamte des Reichs. Seiner Amts-
gewalt find alle Ressorts unterstellt, die in ihrer Gesamtheit die Kompetenz
des Reichs erschöpfen, mit der Ausnahme, daß sich die Zuständigkeit des
Reichskanzlers auf das Kommando des Heeres und der Marine überhaupt
nicht und auf die Armeeverwaltung — soweit es sich dabei noch um Reichs-
angelegenheiten handelt — nur unter einer gewissen Mitbeteiligung des
Kriegsministers (anders bei der Marine) bezieht, ferner mit der Ausnahme,
daß für Elsaß-Lothringen seit dem Reichsgesetz v. 4. Juli 1879 betr. die
Verfassung und die Verwaltung Elsaß-Lothringens § 2 R.G. Bl. S. 165 die
Befugnisse des Reichskanzlers auf den Statthalter übergegangen find, end-
lich mit der nach allgemeinen Grundsätzen selbstverständlichen Ausnahme,
daß sich die leitende und verfügende Dienstgewalt des Reichskanzlers nicht
auf die rechtsprechende Tätigkeit der richterlichen Reichsbehörden erstreckt.
Abgesehen von diesen Ausnahmebestimmungen ist das Prinzip der Zentrali-
sation in der Reichsverwaltung streng durchgeführt. Dem Reichskanzler
gegenüber gibt es nur stellvertretende und untergebene, aber keine ihm
gleichgestellten Beamten. Folgt man der in der staatsrechtlichen Literatur
überwiegend vertretenen Ansicht, daß durch Art. 15 R.V. dem Reichskanzler
lediglich die Leitung der Geschäfte im Bundesrat übertragen ist, so kann
die Funktion des Reichskanzlers als des an die Spitze aller Ressorts ge-
stellten Reichsministers nur mittels eines Rückschlusses aus Art. 17 gefolgert
werden, (so z. B. Laband 1 S. 350), denn Art. 17 bestimmt bezüglich des
Reichskanzlers nichts anderes, als daß der Reichskanzler die kaiserlichen Er-
lasse gegenzuzeichnen hat und durch die Gegenzeichnung die Verantwortung
übernimmt. Damit ist für diejenigen Anordnungen, die nicht vom Kaiser
selbst zu treffen find, noch nichts gesagt. Nach der hier vertretenen Ansicht
(vgl. Art. 15 A. 4 S. 319 ff.) geht aus der nicht anders als wörtlich aus-
zulegenden und in ihrer Bedeutung durch ganz bestimmte, auf die Quellen
der Verfassung gestützte Erklärungen des Fürsten Bismarck klargestellten
Vorschrift des Art. 15 hervor, daß dem Reichskanzler schon durch diese Be-
stimmung — und zwar ausdrücklich — die Leitung der Geschäfte übertragen
ist. Art. 17 hat dann dieser Rechtslage die weitere Bestimmung hinzuge-
fügt, daß der Reichskanzler, also derjenige Reichsbeamte, dem die Leitung
der Geschäfte zusteht, auch das Recht und die Pflicht zur Gegenzeichnung
der kaiserlichen Erlasse hat und für die kaiserlichen Erlasse verantwortlich
ist. Aus der Verbindung dieser beiden Artikel ergibt sich, daß niemand
außer demjenigen, der für die kaiserlichen Erlasse die Verantwortung trägt,