IV. Präsidium. Art. 17. 333
an der Leitung der Geschäfte teilnehmen darf, also niemand außer dem
Reichskanzler, er natürlich nur unter dem Oberbefehle des Kaisers, sonst
aber keine unverantwortliche Stelle. Diese umfassende Exekutivgewalt übt der
Reichskanzler als erster und einziger Minister des Kaisers aus, dessen Be-
fugnisse wiederum auf Art. 11, 12, 17 u. a. beruhen. Der Kaiser nimmt
dabei eigene Rechte wahr, nicht die Rechte der Verbündeten Regierungen,
die ihrerseits nur durch den Bundesrat gemäß Art. 6 vertreten werden.
Auch der Reichskanzler ist daher, soweit er Verwaltungschef ist, d. h. in
seinem aus den Machtvollkommenheiten des Kaisers abgeleiteten Geschäfts-
kreise den Verbündeten Regierungen, bez. dem Bundesrat gegenüber selb-
ständig; vgl. folgende Außerung des Abg. Migquel in der Sitzung des konst.
Reichstags v. 23. März 1867 St. B. 344:
„Vergleicht man Art. 11, 16, 17, so findet man klar und deutlich, daß
das Präfidium kraft eigenen Rechts und nicht kraft Auftrages des Bundes-
rats und gewifsermaßen als Mehrheitsvertreter eine wahre Exekutive hat.
Das Präsidium vertritt kraft eigenen Rechts den Bund nach außen.
Das Präsidium hat die Verkündigung der Gesetze und die Überwachung
der Ausführung. Hiernach ist klar, daß die wesentlichsten Befugnisse,
welche die Exekutive in einem konstitutionellen Staate hat, allerdings
durch den Entwurf in die Hand des Präsidiums gelegt ist.“
Der hieraus von dem Abgeordneten in seinen weiteren Ausführungen
gezogenen Folgerung, daß die Einrichtung eines Bundes- (Reichs-) Ministe-
riums dem Grundgedanken der Reichsverfassung nicht widerspreche, kann
allerdings nicht beigestimmt werden (vgl. unten VIII). Neben der höchsten
Exekutivbefugnis und der Vertretung des Reichs nach außen und innen
gehört die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze und die Über-
wachung ihrer Ausführung durch die Einzelstaaten zu den Geschäften des
Reichskanzlers, und zwar in dem der Kompetenz des Kaisers entsprechenden
Umfange. Was die letztere Befugnis anbetrifft, so ist zu berücksichtigen, daß es
ein allgemeines Prinzip der Reichsverfassung ist, in Konservierung des früheren
Rechtszustandes, die Selbständigkeit der Einzelstaaten im eigenen Lande mög-
lichst zu erhalten, ein Prinzip, das fubfidiär gilt, soweit nicht durch positive
Vorschriften der Reichsverfassung oder der sonstigen Reichsgesetzgebung für
einzelne Fälle etwas anderes vorgeschrieben ist, und daß in Konsequenz
dieses Prinzips, wie z. B. der Staatssekretär des Reichsjustizamts Nieber-
ding in der Reichstagssitzung v. 26. Jan. 1899 St. B. 458 bestätigt hat:
„der Reichskanzler nicht in der Lage ist, Exekutivbefugnisse in den
Einzelstaaten auszuüben, insbesondere auch nicht bezüglich der Ausführung
derjenigen Reichsgesetze, deren Ausführung bei den Einzelstaaten liegt.“
Das Recht allgemeine Verordnungen zu erlassen, steht dem Reichskanzler
nicht ohne weiteres, sondern nur kraft besonderer reichsgesetzlicher Ermäch-
tigung zu. Die für die Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Ver-
ordnungen zu erlassen, ist ohne weiteres nur der Bundesrat, und zwar auf
Grund des Art. 7 Ziff. 2 R.V. zuständig. Eine Ausnahme besteht für die
Angelegenheiten des Heeres und der Marine sowie für das Post= und Tele-
graphenwesen. Hier ist die ausschließliche Zuständigkeit des Kaisers durch
Art. 63, 53, 50 R.V. und deshalb auch die Mitwirkung des Reichskanzlers
begründet, wenn es sich in Militärsachen nicht um Fragen der Kommando-
gewalt handelt und wenn nicht, wie es in Armeeverwaltungssachen fast die