336 IV. Präsidium. Art. 17.
erschöpft ist. Natürlich gilt dies unmittelbar nur für die vom Reichskanzler
selbst gezeichneten Erlasse. Auf die Anordnungen, die von seinen Stell-
vertretern oder von den ihm und seinen Stellvertretern unterstellten Behörden
getroffen find, kann sich die juristische Verantwortung überhaupt nicht und
die moralische und politische Verantwortung nur soweit beziehen, daß die
vom Reichskanzler angegebene Richtung der Politik im allgemeinen inne-
gehalten wird. In den Rahmen dieser letzteren Verantwortung fällt auch
die Ernennung und Entlassung von Reichsbeamten, sei es, daß fie dem
Kaiser obliegt und auf Antrag des Reichskanzlers erfolgt oder daß sie vom
Reichskanzler selbständig vollzogen wird.
Für den Umfang der Kompetenz des Reichskanzlers ist noch der
Präfidial-Erlaß v. 12. Aug. 1867 betr. die Errichtung des Bundeskanzler-
Amts (B. G. Bl. S. 29) von gewisser Bedeutung. Denn das Bundeskanzler-
Amt umfaßte ursprünglich die ganze Reichsverwaltung, und die jetzt vor-
handenen obersten Reichsämter find erst allmählich von diesem Amt abgezweigt
worden, dessen eigentlicher Nachfolger das Reichsamt des Innern ist. Der
an den Bundeskanzler gerichtete Erlaß lautet:
„Auf Ihren Bericht v. 10. d. M. genehmige ich die Errichtung einer
Behörde für die dem Bundeskanzler obliegende Verwaltung und Beauf-
sichtigung der durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes zu Gegen-
ständen der Bundesverwaltung gewordenen, bez. unter die Aufsicht des
Bundes-Präfidiums gestellten Angelegenheiten, sowie für die Ihnen, als
Bundeskanzler, zustehende Bearbeitung der übrigen Bundes-Angelegen-
heiten. Diese Behörde soll den Namen „Bundeskanzler-Amt" führen
und unter Ihrer unmittelbaren Leitung stehen"
Die auswärigen Angelegenheiten find hier nicht genannt, weil sie da-
mals noch von Preußen aus verwaltet wurden. Ebenso waren damals
noch das Kommando und die Oberaufficht über das Heer und die Rlotte
preußische Angelegenheiten; vgl. Laband I S. 360.
In dem Erlaß sind auch die unter die Aufficht des Bundes--Präsidiums
gestellten Angelegenheiten erwähnt. Damit kann nur die Aufsicht über die
Art und Weise, wie die Reichsgesetze in den Einzelstaaten ausgeführt werden,
gemeint sein. So wenig aber der Reichskanzler in die Amtstätigkeit der
Regierungen und anderen Behörden der Einzelstaaten unmittelbar eingreifen
kann (vgl. Art. 4 A 112 S. 103f.), ebensowenig braucht er ihre Amtstätigkeit zu
verantworten. Seine Verantwortung erstreckt sich nur darauf, daß die Einzel-
staaten genügend überwacht werden und daß bei eintretenden Mißständen mit
der erforderlichen Schnelligkeit und Energie vom Reich eingeschritten wird.
Eine wirksame Entlastung von dem Gewicht der Verantwortung ist dem
Reichskanzler durch die Einsetzung von Stellvertretern gegeben worden. Um
aber das höchstmögliche Maß von Verantwortlichkeitsgefühl zu erreichen
und namentlich auch nach außen sicher zu stellen, ist die Verantwortung
nicht einer Mehrheit von Personen überlassen worden, sondern in ihrer
höchsten Potenz in einer Person vereinigt geblieben, und diesem Grundsatz
entspricht die unbestrittene Tatsache, daß trotz der Bestellung und weitgehenden
Ressort-Selbständigkeit der Stellvertreter des Reichskanzlers letzterer für die
allgemeine Richtung der Reichspolitik stets verantwortlich bleibt.
Ebenso wie in den Einzelstaaten die Staatsminister, ungeachtet dessen,
daß sie ihrem Landesherrn untergeben sind, zur Entfaltung eigener Initia-