Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

IV. Präsidium. Art. 17. 345 
die an solcher Stelle und in solchem Zusammenhange ausgesprochenen 
Außerungen tragen. 
Von der Reichsverwaltung werden oft den dem Reichstage vorgelegten 
Gesetzentwürfen Denkschriften beigegeben, die ebenfalls für die Auslegung 
des Gesetzes eine mehr oder weniger große Rolle spielen können. In einer 
Erklärung, die Fürst Bismarck in der Reichstagsfitzung v. 28. März 1881 
St. B. 561 abgab, ist anerkannt, daß die Reichsverwaltung auch für den 
Inhalt dieser Denkschriften die Verantwortung übernimmt. Mit Recht ist 
vom Fürsten Bismarck hervorgehoben, daß die Denkschriften keine Vorlagen 
der Verbündeten Regierungen, sondern eine Erklärung der Reichsverwal- 
tung sind, für deren Zuverlässigkeit der Reichskanzler einsteht, und zwar 
der Reichskanzler in seiner Eigenschaft als Reichsminister und als Führer 
der 17 preußischen Stimmen im Bundesrat; er steht, wie Fürst Bismarck 
erklärt hat, dafür ein, „soweit seine Kräfte und amtlichen Attributionen 
reichen“. Er übernimmt also die volle politische Verantwortung. Selbst 
wenn die Denkschrift nicht programmatischer Natur ist, sondern es sich um 
eine einfache Erläuterung des vorgelegten Gesetzentwurfs handelt, kann ein 
derartiges Schriftstück nicht wie eine Privatarbeit behandelt werden, auch 
nicht wie ein amtliches Schriftstück, für das nur der Beamte verantwortlich ist. 
der es verfaßt hat, sondern es ist anzunehmen, daß die allgemeine politische 
Verantwortung für die Aufrichtigkeit der dort gegebenen Erklärungen — 
deren Hauptwert in der Darlegung der Absichten besteht, die mit dem Ge- 
setzentwurf verfolgt werden — von demjenigen Beamten übernommen wird, 
der die allgemeine politische Verantwortung für den Wert und die Objek- 
tivität der Vorarbeiten des Gesetzentwurfs überhaupt trägt, d. i. der Reichs- 
kanzler oder dessen gesetzlicher Stellvertreter. 
Die mündlichen Äußerungen, mit denen die Regierungsvertreter im 
Reichstage die vorgelegten Gesetzentwürfe vertreten, sind in der Regel nach 
denselben Gesichtspunkten zu beurteilen. Als private Meinungsäußerungen 
können sie nur aufgefaßt werden, wenn sie ausdrücklich als solche bezeichnet 
find. Im übrigen ist in Betracht zu ziehen, daß bei der Verhandlung im 
Reichstage regelmäßig eine Beratung des Entwurfs im Bundesrat voraus- 
gegangen ist und daß verfassungsgemäß — nach Art. 9, 16 R.V. — die 
Gesetzentwürfe durch Bevollmächtigte der Verbündeten Regierungen im Reichs- 
tage vertreten werden. Die Außerungen der Regierungsvertreter werden 
daher in der Regel nicht als die Ansicht des Reichskanzlers oder seiner 
verantwortlichen Stellvertreter, sondern als äußerungen der Verbündeten 
Regierungen anzusehen sein. Bezüglich der politischen Verantwortung er- 
gibt sich aber nur dann ein Unterschied, wenn der Reichskanzler in seiner 
Eigenschaft als Führer der preußischen Stimmen in dem fraglichen Punkt 
im Bundesrat in der Minderheit geblieben ist und sich deshalb mit der 
Ansicht des Bundesrats in diesem Punkte nicht identifizieren und die Ver- 
antwortung dafür nicht übernehmen will; val. Art. 91 3 S. 260. 
Bei diesen den Gesetzentwurf begleitenden Äußerungen macht sich der 
politische Einfluß geltend, den der Reichskanzler vermöge des Gewichts seiner 
Stellung auf den Gang der Gesetzgebung und insbesondere auf die Hal- 
tung des Reichstags hat und nach dem allgemeinen Satz, daß die politische 
Verantwortlichkeit überall so weit reicht, als die tatsächliche Macht, ist 
es nur folgerichtig, daß der Reichskanzler, wenn er seinen persönlichen Ein-
	        
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