IV. Präsidium. Art. 17. 347
Form eines neuen Gesetzes erfolgen. Den ihm unterstellten und an seine
Anweisungen gebundenen Verwaltungsbehörden gegenüber ist natürlich der
Reichskanzler in der Lage, den Standpunkt über die Bedeutung und Aus-
legung eines Gesetzes vorzuschreiben. Dies gilt für Gesetze; vgl. das Urt.
des Reichsgerichts v. 2. Febr. 1884, I. Cs. Bd. 11 S. 72. Verordnungen
des Bundesrats kann der Bundesrat, kaiserliche Verordnungen der Kaiser,
Verordnungen des Reichskanzlers der Reichskanzler mit Wirkung gegen jeder-
mann, also auch mit Wirkung gegen die Gerichte authentisch interpretieren,
soweit die Stelle, welche die Verordnung erlassen hat, auch berechtigt ist,
sie selbständig zurückzunehmen oder abzuändern; val. Art. 2 II 4 S. 45.
c) Das Armeekommando.
Art. 17 verlangt zwar ohne Einschränkung die Gegenzeichnung und
Verantwortung des Reichskanzlers für alle Anordnungen und Verfügungen
des Kaisers, doch ist es allgemein anerkannt, daß Art. 17 sich nicht auf
das Armeekommando bezieht. Die Reichsverfassung enthält nach dieser Rich-
tung keine positive Bestimmung, aber aus der Verfassung des Norddeutschen
Bundes konnte es unschwer gefolgert werden, weil nach dem dortigen
Art. 17 die Gegenzeichnung des Reichskanzlers nur für die Anordnungen und
Verfügungen des „Bundespräsidiums“ erfordert wurde, während der Ober-
befehl über die Armee nach Art. 63 dem König von Preußen in seiner
Eigenschaft als „Bundesfeldherrn“ übertragen und die Kriegsmarine nach
Art. 53 dem „Preußischen Oberbefehl“ unterstellt war. In der Reichsver-
fassung find diese Unterscheidungen in der einheitlichen Bezeichnung des
„Kaisers“ aufgegangen, aber die den Übergang der Norddeutschen Bundes-
verfassung in die Reichsverfassung betreffenden Materialien lassen keinen
Zweifel darüber, daß eine materielle Anderung der Reichsverfassung durch
die Einführung des Kaisertitels nicht beabsichtigt war. Das preußische
Staatsrecht gilt in dieser Beziehung im Reichsrecht fort. Art. 44 der
preuß. Verfassungsurkunde bestimmt, daß alle „Regierungsakte“ des Königs
zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers bedürfen, welcher da-
durch die Verantwortlichkeit übernimmt. Es war auch im preußischen Staats-
recht unstreitig, daß das Armeekommando und die sogen. Armeebefehle nicht
zu den Regierungsakten im Sinne dieser Bestimmung gehören. Die gegen-
teilige Ansicht würde zu dem absurden Ergebnis führen, daß Kriegsbefehle,
von deren sofortiger Erledigung der Ausgang des Feldzuges abhängen kann,
erst der Gegenzeichnung des Ministers bedürfen. Andererseits ist die Armee
nicht völlig der ministeriellen Verantwortlichkeit entrückt. Dies wäre schon des-
halb unmöglich, weil die materielle Versorgung der Armee einen — übrigens
sehr wesentlichen — Bestandteil des Etats bildet und für den Etat die
ministerielle Verantwortung als Vermittelung zwischen Krone und Volks-
vertretung unentbehrlich ist. Ferner ist die materielle Verantwortung not-
wendig für diejenigen Angelegenheiten der Armee, die im engen und un-
trennbaren Zusammenhange mit Civil-Verwaltungsangelegenheiten stehen,
weil letztere ihrer Natur nach von der ministeriellen Verantwortlichkeit nicht
ausgenommen werden können; diese Unterscheidung liegt im Interesse einer
sachgemäßen Abgrenzung der Machtsphäre der militärischen Kommando-
behörden und der des Ministers. Eine Richtschnur für die Abgrenzung soll
der unter Gegenzeichnung des Kriegsministers von Roon ergangene, in seiner